Natürlich muß jede Regierung schon im Interesse der Selbsterhaltung derartigen Überschreitungen des Gesetzes energisch entgegentreten; allein Karl und seine Nachfolger gingen viel zu weit, indem sie jede von den Gegnern Roms ausgegangene Schrift, ja selbst wissenschaftliche Werke als Schmähschriften verfolgten. Indem also der nürnberger Reichsabschied die privatrechtliche Definition der Schmachschrift auf das öffentliche Recht übertrug, schuf er ein ganz neues Verbrechen, welches die Presse der Lutheraner und sämtlicher Akatholiken von vornherein vogelfrei machte. Mit jedem Fortschritt der sogenannten Gegenreformation wurde durch diese absichtliche Begriffsverwirrung die Lage der protestantischen Litteratur mißlicher und immer mehr dem Belieben kaiserlicher Censoren und Bücherkommissare überantwortet. Gelehrte Werke hervorragender lutherischer Theologen, wie z. B. selbst Luthers und Melanchthons oder später die des berühmten tübinger Professors Bengel, oder anerkannte Geschichtswerke, wie des Sleidanus’ „De Statu religionis et reipublicae Carolo V. imperatore Commentarii“, wurden trotzdem daß sie mit Privilegien gedruckt und jahrzehntelang mit dem Namen des Verfassers im Handel waren, von den frankfurter Bücherkommissaren auf Befehl der Jesuiten der Hofburg als Schmachschriften mit Beschlag belegt und verfolgt. Zunächst also ließen die Lutheraner ohne jeden Widerstand ein Strafgesetz willkürlich auf sich anwenden, das ganz andere Vergehen und Verbrechen zu ahnden hatte, dann aber ließen sie dieses auf sie übertragene Gesetz wieder willkürlich auslegen und ändern, statt es energisch zurückzuweisen. Fürsten und Freie Städte beruhigten sich offenbar mit dem Troste, daß die kaiserliche Politik nicht bis zu ihnen reiche, und halfen ihr schon 1529 selbst die Ketten schmieden, welche sie später um ihren Hals warf, jedenfalls aber gingen sie dem Kampfe aus dem Wege, welcher zwischen der neuen und alten Weltanschauung unvermeidlich geworden war. So ließen sie sich denn zu schmähenden Querulanten, zu boshaften Prozeßkrämern herabdrücken, ihre Presse aber, welche die beste Verteidigerin ihrer Sache war, als unnützen Pasquillanten verfolgen und unterdrücken. Allenfalls gewährte es ihnen eine Art von Genugthuung, daß die Unbestimmtheit der Ausdrucksweise der Reichsverordnungen letztere zu einer zweischneidigen Waffe machte, welche für jeden politischen oder kirchlichen Standpunkt, also auch dem Angreifer gegenüber, verwendbar war.
Ein Jahr nach dem nürnberger Reichsabschied zog der Bauernkrieg
Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_09.djvu/022&oldid=- (Version vom 1.8.2018)