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Schwerfälligkeit ihres Vorgehens weniger ausrichten kann als ein einzelner Mann, so hatte auch die Bewegung der deutschen Geister nach dem wormser Reichstag einen immer größern Aufschwung genommen, namentlich aber war die Thätigkeit der Presse eine so aufreizende und ihre Sprache eine so wilde geworden, wie sie nur in innerlich erregten, einer Revolution veraufgehenden Zeiten sich zu äußern pflegt. Unter diesen Umständen mußte selbstredend die Verfügung des nürnberger Reichstagsabschieds vom 8. April 1524 ungehört im Winde verhallen, wonach jede Obrigkeit dafür sorgen sollte, daß „Schmachschriften und -Gemählde hinfürder gändzlich abgethan werd und nicht weiter ausgebreitet“. Diese Worte lauten äußerst harmlos und unverfänglich; indessen enthalten sie ein ganzes Nest von juristischen Schlingen, in welchen sich die Lutheraner nur zu bald zu ihrem Schaden fangen sollten. Im Gegensatz zum Wormser Edikt kündigt sich hier nämlich völlig unvermittelt eine ganz neue Bezeichnung für die zu bestrafenden Bücher und Schriften an. Sprach jenes, an den bestimmten Fall anknüpfend, nur von Lutherschen „Schmach- und vergifteten Büchern“, welche unterdrückt werden sollten, weil sie den christlichen Glauben und den heiligen Vater beleidigten, so war das ein faßbarer juristischer Begriff. Nun aber verlangt der nürnberger Reichsabschied von 1524 in ganz allgemeinen Ausdrücken, daß „Schmachschriften und -Gemälde gänzlich abgethan“ werden sollen.

Man muß, um sich über den Sinn dieser Worte klar zu werden, zunächst den Rechtsbegriff feststellen, der die Auffassung jener Zeit beherrschte. Das gemeine deutsche Strafrecht bezeichnet (Berner, „Strafrecht“, 9. Aufl., S. 444. 445) zunächst als Pasquill jede Ehrverletzung, die durch bleibende Zeichen (Schrift, Druck, Schnitz-, Bild- oder Gußwerk) veröffentlicht wird, und als Schmach- oder Schmähschrift, oder Famoslibell: die anonyme oder pseudonyme Anschuldigung eines peinlichen Verbrechens, zu dessen Thatbestand natürlich auch das Bewußtsein des beleidigenden Charakters der Handlung gehört. Die vielfach vorkommenden Ausdrücke späterer Erlasse und Gesetze, wie „teufflich Pasquill, Laster- und Schandschrift, Famos-Gedicht und Lasterbüchlein, ehrverletzendes Gemälde und Schmachkarten“, sind nur andere Bezeichnungen für denselben Begriff.

Es ist allerdings eine bekannte Thatsache, daß im Deutschen Reich zu keiner Zeit die Spott- und Schmähschriften mehr geblüht und einander

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Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_09.djvu/019&oldid=- (Version vom 1.8.2018)