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Zeiten des Mittelalters“ keine Schulen gegeben habe, und rechnen deren Einrichtung überhaupt erst der Reformation als wesentliches Verdienst an. Diesem Irrtum schlagen die Thatsachen überall ins Gesicht. Die Kirche errichtete vielmehr und förderte in ihrem eigenen Interesse Unterrichtsanstalten aller Art, von den Elementar- (Pfarr- oder Küster-)Schulen an bis hinauf zu den oft vortrefflichen Domschulen und Universitäten. Bereits im 13. Jahrhundert mußten die Küsterschulen nach einem bestimmten Lehrplan die Jugend im Lesen und Schreiben unterrichten; aus den lateinischen Schulen aber sind die ältern, zum Teil noch bestehenden deutschen Gymnasien hervorgegangen, und die spätern Hochschulen bilden in ihren wesentlichen Einrichtungen vielfach die Fortsetzung der mittelalterlichen Universitäten. Natürlich dienten jene Schulen in erster Linie kirchlichen Zwecken. Das Kind mußte der Mutter gehorchen und deren Einfluß auf das Volk verstärken helfen, ein Verhältnis, welches sich um so natürlicher entwickelte, als zu jener Zeit die Kirche die einzige geistige Macht war, welcher man sich gern unterwarf. Auch die protestantische Kirche behandelt die Schule als ein ihr von Rechts wegen gehörendes Gebiet und sucht selbstredend in ihrem eigenen Geiste auf sie zu wirken. Sie tritt also in dieser Frage nicht in bewußten Gegensatz zum Katholizismus, sondern geht nur insofern über ihn hinaus, als sie die Schule als Selbstzweck gelten läßt und durch sie dem Schüler eine Mitgift fürs ganze Leben gibt, während die katholische Kirche den Unterricht als bloße Beigabe zur Seelsorge ansieht und in diesem Sinn den Schüler für ihren Zweck modelt. Der Protestantismus erweitert den Begriff der bisherigen begrenzten, kirchlichen Schule zur nationalen Volksschule. Das ist der mächtige Unterschied zwischen den beiden Weltanschauungen! Wie die lutherische Kirche sich der Staatsgewalt unterordnet, so muß ihr auch die Schule folgen. Der Staat verallgemeinert im Laufe der Jahre den Unterricht und führt teilweise sogar für das ganze Volk den Schulzwang ein. Die protestantische Schule erhält eine von der Kirche mehr unabhängige und freiere Stellung und wird nationale Bildungs- und Erziehungsanstalt. Ihre katholische Schwester hingegen bewegt sich nur innerhalb der von Rom gezogenen Grenzen und begünstigt eine mehr schablonenartige Bildung, welche vielfach das individuelle Leben verwischt. Der Katholizismus stützt seine Herrschaft auf ein möglichst großes Laientum, welches in

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Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_07.djvu/042&oldid=- (Version vom 1.8.2018)