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frühere Schrift „Die rechte weis auffs kürtzist lesen zu lernen“ (1527 und 1534) waren für ihre Zeit vortreffliche Leistungen und fanden bald so zahlreiche Nachbildungen und Nachahmungen, daß sie nicht lange im Gebrauch blieben. Weiter über ganz Deutschland verbreitet gewesen, länger – Jahrhunderte hindurch – im Gebrauch und noch heute, gleichsam sprichwörtlich, bekannt ist dagegen Adam Riese’s Rechenbuch. Riese war 1492 zu Staffelstein bei Lichtenfels in Franken geboren und starb 1559 als Bergbeamter und Privatlehrer zu Annaberg in Sachsen. Sein Buch erschien zuerst 1518, und in zweiter Auflage 1525, zu Erfurt. Beide Männer, Ickelsamer und Riese, sind die Neubildner des ersten Jugendunterrichts und die Vertreter einer Richtung, welche sich im Laufe der Jahre nicht allein über das protestantische, sondern auch über das katholische Deutschland ausgebreitet hat. Zu den von ihnen geschaffenen unentbehrlichen Lehrmitteln der Volksschule kam nur noch im Laufe des 16. Jahrhunderts der Katechismus, welcher die Glaubenslehre in fortlaufenden Fragen und Antworten behandelt, und zwar für die Lutheraner der kleine Luthersche (1529), für die Reformierten der heidelberger (1563) und für die Katholiken in erster Linie der „Catechismus parvus“ des Pater Canisius (1563).

Dieselbe Aufgabe, welcher sich Ickelsamer und Riese für die Elementarschule gewidmet hatten, löste Philipp Melanchthon, der Freund Luthers, der Praeceptor Germaniae, für den höhern Unterricht. Er veranlaßte und schrieb selber die maßgebenden Lehrbücher für lateinische Schulen und Universitäten: griechische und lateinische Grammatik, Rhetorik und Dialektik, Theologie, Ethik, Physik und Psychologie, Lehrbücher, die sich länger als zwei volle Jahrhunderte im Gebrauch erhalten haben. Er drang überall auf klares System und war ein ordnender, aber kein bahnbrechender Geist. Man hat ihn mit Recht den Lehrer Deutschlands genannt. Die großen wissenschaftlichen Fortschritte um ihn her sind von andern gemacht worden; dagegen hat das deutsche Schulwesen, wie es vom 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts bestand, durch Melanchthons Hand die entscheidende Organisation erhalten und auch den Jesuiten zum Vorbild gedient.[1] Wittenberg wurde für das ganze lutherische Deutschland die Pflanzschule der Rektoren und Lehrer, und im Südwesten gewann Straßburg eine Zeit lang dieselbe Bedeutung für die Reformierten.

Unwissenheit und Dünkel wähnen vielfach, daß es in „den barbarischen


Fußnoten

  1. Scherr, J., Geschichte der deutschen Litteratur. S. 294.


Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_07.djvu/041&oldid=- (Version vom 1.8.2018)