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Bei der Würdigung dieser Erscheinungen hat die Geschichte des Buchhandels ein doppeltes Interesse. Einmal weckt diese allgemeine Verbreitung von Flugschriften die Lust am Lesen und verstärkt damit die natürliche Grundlage für die Entwickelung und Kräftigung des Buchhandels, dann aber bereitet die fast regelmäßige Mitbesprechung und Erklärung der Zeitereignisse den Boden für die politischen Flugblätter, „die newen Zeitungen“ vor, in welchen bei verringerten geistigen Interessen wenigstens die Neugier der Leser ihre Befriedigung fand. Das Flugblatt des Reformationszeitalters ist eben die Mutter der neuen Zeitung, der Zeitung überhaupt.

Johann Herrgott und seine Frau Kunigunde sind die echten Typen wandernder Buchdrucker und Buchführer aus der Mitte der Reformationszeit, eifrig und betriebsam, wo sie eine gutziehende Schrift drucken oder nachdrucken und vertreiben konnten, einander ergänzend, indem die Frau das Geschäft zu Hause besorgte, wenn der Mann auf Messen und Jahrmärkte, oder auf Agitationsreisen in die Weite wanderte. Sie hatten zur Zeit, als sie zuerst genannt werden, manche, vielleicht viele von Luthers Schriften nachgedruckt und vertrieben – darunter auch wenigstens zweimal das Neue Testament und zwar in Partnerschaft mit einem andern kleinen Buchführer, Michael Kuder von Wiesensteig bei Ulm –, weshalb der Reformator auf das „Herrgettlein“ auch gar nicht gut zu sprechen war. Später waren sie auf die radikale Seite getreten, wie dies der Druck Thomas Münzerscher Schriften (1524) und die längere Anwesenheit Herrgotts in Rothenburg, einem der Hauptsitze der „Sektirer“ und der Bauernbewegung, beweisen. Er arbeitete hier und anderwärts für die Ausbreitung der extremsten Richtung, der sozialen Revolution. Im Jahre 1526 taucht er plötzlich in Sachsen auf und verbreitet dort eine Flugschrift von 18 Seiten in klein Oktav, welche ohne Angabe des Druckorts, der Jahreszahl, des Verfassers und Verlegers den Titel führt: „Von der newen wandlung eynes Christlichen lebens“. A. Kirchhoff hat sie im leipziger Stadtarchiv gefunden und auch veröffentlicht. Der Umschlag, in welchem sie lange im Archiv eingeschlagen gelegen hatte, trägt die Aufschrift: „Hans Hergots von Nurmberg vffrurisch buchlein, vmb welchs willen er mit dem Schwerte alhir gericht. Montag nach Cantate (20. Mai) Anno Dom. 1527.“ Diese Bemerkung kann allerdings soviel heißen, daß Herrgott auch der Verfasser des

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Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_07.djvu/034&oldid=- (Version vom 1.8.2018)