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Die übrigen geistlichen Staaten, wenn man den vornehmen Begriff Staat auf diese politischen Mißbildungen und römischen Filialen anwenden darf, kommen hier deshalb nicht in Betracht, weil sie auf dem Gebiete des Glaubens nur ultramontane Befehle auszuführen und kaum tief eingreifende ketzerische Unruhen zu verzeichnen hatten. Es ist darum auch ziemlich gleichgültig, ob diese Bistümer oder Erzbistümer 100 oder 1000 Bücher verbrannten, oder ebenso viel und mehr Ketzer aus dem Lande trieben. Viel schlimmer ist es, daß die litterarische Thätigkeit hier bald ganz aufhörte, daß das Volk des Denkens entwöhnt und einer strengen priesterlichen Dressur unterworfen, auch die Lust an geistiger Erholung verlor und infolge dessen auch das Bedürfnis des Lesens ganz einbüßte. Das Herzogtum Bayern setzte seinen Stolz darein, sogar noch päpstlicher zu sein, als die geistlichen Kurfürstentümer, und kann deshalb nicht einmal Anspruch auf die Ehre einer besondern Erwähnung machen.

Was aber eine vollständig durchgeführte Gegenreformation in einem großen Lande heißen will, das zeigte sich nur zu bald in Österreich. Hier ist es den Jesuiten in verhältnismäßig kurzer Zeit gelungen, die von Luther eingeleitete Bewegung bis auf die bescheidensten Lebensäußerungen zu beseitigen und jahrhundertelang ein begabtes Volk von der Entwickelung des deutschen Geisteslebens vollständig auszuschließen. Luthers Lehre fand von Anfang an in Wien und ganz Österreich einen wohlvorbereiteten und empfänglichen Boden vor und gewann trotz der Verfolgungen der Regierung und der katholischen Geistlichkeit im 16. Jahrhundert eine so große Verbreitung, daß man neun Zehntel der ganzen Bevölkerung als lutherisch bezeichnen konnte. Erst der Dreißigjährige Krieg vermochte den Protestantismus mit der Wurzel auszurotten. Schon im April 1518 wurden verschiedene in religiöser Beziehung verdächtige und anstößige Bücher in Wien veröffentlicht und verbreitet, gegen deren Drucker, Verkäufer und Käufer der Bischof vorerst nicht einzuschreiten wagte. Johann Eck stellte Ende 1520 lange vergeblich das Ansinnen an die wiener Universität, daß sie die päpstliche Bannbulle gegen Luther veröffentlichte und alle Lutherschen Bücher und Schriften von den Universitätsangehörigen einfordere und dann vernichte. Ehemalige Priester predigten 1522 selbst mit bischöflicher Erlaubnis für die Ehe der Geistlichen und vertheidigten in der Stephanskirche Luthers Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben. Ferdinand I. hatte zwar am 12. März 1525[1] verboten, die Werke


Fußnoten

  1. Wiedemann, T., Die kirchliche Büchercensur in der Erzdiözese Wien. Wien 1873. I, 31.


Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1. Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig 1886, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Dt_Buchhandels_1_07.djvu/027&oldid=- (Version vom 1.8.2018)