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Wort auch im Letzten, dem Buchstaben erscheinen, um ganz und bleibend offenbar zu sein. Der Inhalt auch des Wortes ist der Herr selbst: in ihm steigt Gott selbst herab. Der Mensch war zur Basis oder Stütze des Himmels bestimmt gewesen, aber da er sein Inneres von Gott abgekehrt hatte, so sandte Gott sein Wort, die Verbindung mit dem Himmel aufs Neue zu knüpfen. Sonach ist mehr die Wortwerdung Gottes als die Menschwerdung das Mittel der Herstellung.[1] Schon vor Christus hat das Wort diese mittlerische Rolle gehabt, wie noch jetzt außerhalb der Christenheit. Es hatte aber verschiedene Formen. Ursprünglich war es nur mündlich. Das göttlich Wahre wird von dem Herrn vor der Engelwelt wörtlich vorgesprochen und nimmt dann seinen Lauf durch alle Himmel, bis es bei den Menschen anlangt. Die Abgötterei war schuld, daß aus dem mündlichen Wort, aus welchem alle Weisheit der Heiden floß, ein schriftliches wurde. Es ist verfaßt in der Bibel, die ein Wunderwerk ist, ein Seitenstück des Universums; sie enthält nämlich Gott selbst in seiner Dreieinigkeit in sich: hat daher neben dem buchstäblichen Sinn einen geistigen und himmlischen. Im Letzten ist ihr Sinn natürlich, im Innern geistig, im Innersten himmlisch, in Allem göttlich. Sie ist kein Geschöpf, sondern in ihr ist wie in Christus, aber in dauernder Gegenwart das dreifache Sein Gottes ideell beschlossen, als in einem Gegenbilde Gottes und des Alls, so zwar, daß sie in diesem selbst eine Stelle einnimmt als der Mittler, damit die Zusammenfassung der äußersten Enden, die in ihr gegeben ist, in dem Menschen in persönlicher Form sich wiederhole, der das Natürliche, das Wahre und Gute in sich vereinigen soll. Die wahre Schrifterklärung dringt über den buchstäblichen Sinn zu dem geistigen und himmlischen vor und erkennt die allseitigen Correspondenzen der drei Welten, der Welt der Natur, des Wahren und Guten. Immanuel Swedenborg ist der Schlüssel zu diesem Schriftverständniß offenbart behufs Gründung der Kirche des neuen Jerusalems.

Der Kern des Swedenborgianismus von seiner wunderlichen Verpuppung abgelöst ist ein mystischer Rationalismus, in welchem spekulative und praktische Interessen eine Einigung suchen, die Transcendenz der göttlichen, die Passivität der menschlichen Seite und die spiritualistische Verachtung der Natur


  1. Vgl. Hauber, Swedenborgs Lehre von der heil. Schrift. Tüb. Zeitschrift 1840, 4. Haug a. a. O.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_666.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)