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angeborenen Verderben zuwider und die christliche Versöhnungslehre kein Bedürfniß. Er bestreitet vielmehr beide; die Freiheit des Menschen kann sich stets zum Guten entscheiden vermöge innerer Kraft; die Menschheit selbst aber nimmt ihm in dem All eine so eminente Stellung als die Basis und Trägerin des Alls ein, daß mit ihrem Fall, wenn keine Herstellung käme, ein allgemeiner Umsturz erfolgen würde, so, wie ein Thron wankt, wenn sein Fußgestell morsch geworden ist.

Das Universum des Seins stellt er unter dem Bilde von drei concentrischen Kreisen vor, von welchen in dem innersten der Herr als die Liebe umgeben von einer reichgegliederten Welt höherer, in Liebe thätiger Geister ist; ein zweiter Kreis ist der Herr als das göttlich Wahre; auch dieser Kreis ist ein Reich von Geistern, und zwar denkenden. Den dritten Kreis bildet die sichtbare, sinnliche Welt, unsere Natur mit eingeschlossen. Diese Kreise sind jetzt zwar simultan neben einander, aber sie sind nicht ohne lebendige Bewegung und Beziehung zu einander; und um anschaulich zu machen, wie sie werden, ist von dem Bilde des Kreises auf das des Kegels überzugehen, von dessen Spitze, die als kleinster aber kraftweise Alles in sich schließender Kreis vorgestellt werden mag, als von dem Ersten eine Bewegung nach unten vor sich geht, die emanatistisch immer weitere Kreise setzt und bevölkert, zuerst den mittleren, die Sphäre der erkennenden Geisterwelt, bis angelangt ist bei dem Letzten, der Natur. Es ist ein Proceß Gottes selbst, der von dem Sein durch das Werden zum Dasein oder zur Wirklichkeit fortschreitet.[1] Weil das Eine göttliche Wesen, wenn auch nach verschiedenen Seiten, die potenziell in Gott sind, in diesen Kreisen sich manifestirt, so hat jeder eine gewisse innere Verwandtschaft und Beziehung zu den andern; es ist Alles in der Welt voll Correspondenzen. Ist der göttliche Lebensproceß im Letzten, dem Menschen angekommen, so ist Gott in der Sphäre der Wirklichkeit. Im Menschen ist nach seinem sinnlich geistigen Wesen die Zusammenfassung dessen von Gott gewollt, was außer dem Menschen nur im Außereinander ist, Natur, Intelligenz und Liebe, denn mit allen diesen Sphären steht der Mensch in Gemeinschaft nach seiner göttlichen Idee. In Gott selbst ist die Dreiheit: Das Göttliche des Herrn


  1. Esse, fieri, effectus. Schneckenburger erinnert hiebei an Hegel, wie auch neuere Swedenborgianer thun.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_664.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)