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Die andere ist mehr spekulativ geartet, jedoch in theosophischer Form, und zu ihr gehören Christoph Friedr. Oetinger, Ludwig Fricker, Phil. Matth. Hahn und Mich. Hahn. In ihnen knüpft die Bengelsche Schule an Jac. Böhme an: sie bilden aber auch eine Brücke zur neueren Philosophie seit Schelling. Sie umspannen mit ihrem Forschen und Denken nicht bloß die Heilsgeschichte und das Gebiet der Religion, die sie als Geschichte des göttlichen in dem Königreiche Jesu Christi sich vollendenden Reiches verstehen wollen, sondern auch das Wesen Gottes und die ganze Natur ziehen sie in ihre Kreise, die Materie und den Geist, das Verhältniß Gottes und der Welt, der Seele und des Leibes. Der Wolffschen Philosophie setzt sich das Haupt dieser Gruppe, Oetinger als einem abgestandenen, grauen Idealismus entgegen, dem Gott unter dem Vorwand der Erhabenheit des höchsten Wesens zu einem leblosen Eins sich zusammenziehe, das zwar den Namen des Ens actuosissimum trägt, aber das in die Bande einer ewigen Nothwendigkeit so gefangen ist, daß es fast zum personificirten Fatum oder Gesetz des Geschehens wird, eine lebensvolle Beziehung aber der „ewigen Wahrheiten“ zur Geschichte und ein wirklich sich bereichernder Gehalt dieser nicht herauskommen kann. Wolffs Lehre von der besten Welt unter den möglichen erkauft wie Leibnitz die Theodicee mit der Annahme, daß das Böse, weil stammend aus der nothwendigen Schranke der Welt und besonders des Menschen, die zu ihrem Wesen und Unterschied von Gott gehört, nun einmal nothwendig sei und bleibe, womit die ethische Teleologie im Innersten verletzt und der Weg dazu eingeschlagen war, die Welt zu nehmen wie sie ist und sich aufs bequemste mit ihr zurecht zu finden, da die Vollkommenheit wohl als ethisches Princip genannt, aber durch die erwähnten Vordersätze zugleich als unerreichbar bezeichnet war.[1] Diesem Idealismus, dessen Kehrseite eine mechanische ideenlose Denkweise und eine platte Philisterhaftigkeit wurde, die mit der Welt, wie sie ist, sich eudämonistisch leidlich zurecht findet, steht Oetinger so feindlich entgegen wie das Feuer dem Wasser. Er geht in seiner Polemik auf die letzten Gründe zurück, auf die Gottesidee, die so lange unbewegt und mit dem evangelischen Glauben unversöhnt nur in ihrer alten vorreformatorischen Form sich fortgeerbt hatte, die aber schon


  1. Vgl. Christoph Hoffmann, Fortschritt und Rückschritt in den letzten zwei Jahrhunderten oder Geschichte des Abfalls. 1865. II, 150 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_656.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)