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der erste Hahnenschrei einer neuen Exegese, wie die evangelische Kirche sie bedarf.

Zunächst freilich stieß sein Streben bei dem Orden der Fachtheologen an den Universitäten und bei der officiellen Theologie auf wenig Gunst,[1] und viel Verkennung. Aber in der Stille sammelte sich um ihn ein Kreis gediegener Männer, die in freier und manchfaltiger Weise Träger seines Geistes und Pfleger der in Bengel beschlossenen Keime waren. Die Bengelsche Schule verzweigte sich aber in zwei innerlich durch eine große Liebe zur heiligen Schrift wie zum Volk verbundene Richtungen. Die eine ist mehr einfach historisch geartet, die andere ist christlich spekulativen Geistes. Die erstere einflußreichere und stärker vertretene setzt theils in gründlicher Weise die exegetische Arbeit fort neben zahlreichen praktischen Schriften, so der spätere Kanzler von Tübingen Jer. Fr. Reuß, Magn. Fr. Roos,[2] theils behandelt sie auch die Kirchengeschichte, wozu in Spenerschem Geist schon Weismann den Anfang gemacht,[3] während Reuß und Burk auch die systematische Theologie anbauen.[4]


  1. Er war vor 1713 an Lehrer in dem Kloster zu Denkendorf; 1741 wurde er als Prälat von Herbrechtingen in das Kirchenregiment berufen, in welchem er die weisen Bilfingerschen Gesetze 1743, das Verhältniß zwischen der Kirche und dem Pietismus betreffend, zu segensreicher Durchführung bringen half, wodurch diese Strömung, ohne ihre Selbstständigkeit aufzugeben, befruchtend in die württembergische Kirche zurückgeleitet worden ist.
  2. Magn. Fr. Roos, Fundamenta Psychologiae ex s. scr. collecta 1769.
  3. Weismann, gest. 1747: Introductio in memorabilia hist. eccl. Tub. 1718. M. Fr. Roos, Verf. einer christlichen Kirchengeschichte. 2 BB.
  4. Jer. Fr. Reuß hat schätzenswerthe Beiträge zur Ethik geschrieben: Elementa theol. mor. Tub. 1767. Auf den evangel. Glauben sorgfältig zurückgehend, sucht er die Selbstständigkeit und die Vorzüge der christlichen Moral vor der philosophischen oder natürlichen zu beweisen. Von Burk gehört hieher die früher erwähnte Schrift von der Rechtfertigung. Steinhofer und Conr. Rieger haben große Verdienste um ascetische Verwendung der heil. Schrift. Andre hieher gehörige Männer sind: Flattich, Storr d. Ae., Hartmann. Verwandt mit Reuß und Bengels Art, aber selbstständigen und noch mehr philosophischen Geistes ist Chr. Aug. Crusius in Leipzig, Gegner der Wolff’schen Philosophie. Ausgezeichnet ist seine Lehre vom Gewissen. Er hält an dem unauflöslichen Zusammenhang von Religion und Sittlichkeit fest, wobei ihm sein freierer umfassenderer Begriff von Offenbarung zu Statten kommt. Vgl. C. A. Crusius kurzer Begriff der Moraltheologie u. s. w. Leipzig 1772. 1773. 2 Thle. Ihm schlossen sich an Gellert, Rehkopf', Reichard, S. F. R. Morus, s. Stäudlin a. a. O. 2, 643 f. Crusius hat auch um seiner biblisch-theologischen Leistungen willen das schöne Denkmal verdient, das ihm Delitzsch gesetzt hat. 1845.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_655.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)