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für die Bedeutung wie den Gang ihrer Entwicklung entscheidend sein. Um diesen Organismus der göttlichen Gedanken zu verstehen, die sich in der Geschichte ausprägen, dazu sind die Zeitangaben heiliger Schrift ihm von größter Wichtigkeit. Sie bezeichnen das Knochengerüste, von welchem die ganze Gestalt der Geschichte abhängt, die ohne Gliederung und Einschnitte nicht verstanden werden kann.[1] Nimmt man die stückweise in der Schrift gegebenen Zeitangaben, sagt er, nach Anleitung der Schrift zusammen, so gibt es eine durchgängig zusammenhängende, aus proportionirten Theilen bestehende Zeitlinie, die der göttlichen Weisheit gemäß sein muß. Das äußere Maß der abgegrenzten Perioden weist auf die innere Gliederung: und diese feste schöne Ordnung des Fortschreitens von der Genesis an bis zur Apokalypse hat ihm zugleich eine hohe apologetische Bedeutung für die heilige Schrift und für die christliche Religion: sie zeigt ein sich durch sich selbst empfehlendes Realsystem. Erhält durch das Endziel der göttlichen Oekonomie das schon Geschehene erst sein volles Licht, so ist dieses hinwiederum in seinem langen aber sicheren bisherigen Laufe auch eine Bestätigung für die Weissagung, die noch nicht erfüllt ist. Aus diesem Grunde hat die Bengelsche Apokalyptik neue gelehrte chronologische Untersuchungen angestellt und er hat ein selbstständiges chronologisches System entworfen.[2] Seine chronologischen Berechnungen des Endes der jetzigen Weltordnung, das er aber von der unberechenbaren Zeit des jüngsten Gerichts will unterschieden wissen, indem noch das sogenannte tausendjährige Reich von nicht bestimmbarer Dauer in der Mitte liege, sind freilich, was er als möglich selbst zugegeben hatte, durch den Erfolg als irrig erwiesen: aber seine dauernde und segensreiche Einwirkung auf Theologie und Kirche ist darum nicht erloschen, sondern seine Prophezeiung über sich selbst ist in Erfüllung gegangen: er werde eine Zeit lang vergessen, dann aber wieder hervorgezogen werden. Seine Werke sind


  1. Weltalter 1746, Cap. 1, 11. Einl. zur erklärten Offenbarung §. 34. 1740.
  2. Ordo temporum a principio per periodos oeconomiae divinae historicas atque propheticas ad finem usque ita deductus, ut tota series – ex V. et N. Testamento proponatur. 1741. Erklär. Offenb. Joh. 1740. Sechzig erbauliche Reden über die Offenbarung Johannis 1747. Cyclus sive de anno magno solis, lunae, stellarum consideratio 1747. Ueber seine Zeitrechnung ist das Nähere in gedrängter Kürze zu sehen in Hartmanns Artikel in Herzogs Realencyklopädie II, 60–61, wo auch merkwürdige Beispiele seines geschichtlichen Ahnungsvermögens zusammengestellt sind.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_654.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)