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mit seiner Kirche; aber ihre Lehre ist ihm kein Bann und Riegel gegen weitere Erkenntniß. Seine Theologie ist nicht mehr oder noch nicht Dogmatik, sondern Schrifterkenntniß. Dafür war er auch aber in seltensten Maße ausgestattet. Er vereinigte eine gründliche philologische Bildung mit scharfem Verstand, Nüchternheit und gesundem Takt. Produktive Spekulation oder Systematik war nicht seine Sache, sondern er war mehr eine historische Natur. Aber die reinste, durch die Treue im Kleinsten sich bewährende Hingebung, ja Schmiegsamkeit an seinen heiligen Gegenstand, getragen von dem warmen Interesse an ihren lebendigen Realitäten zeichnet nicht bloß in sein Gemüth einen Abdruck von der lebensvollen Ganzheit des Gegenstandes, der den Schriftinhalt bildet, sondern lockt auch die geistige Funktion hervor und befruchtet sie, welche ein real gewordnes System von Gottesgedanken in der Geschichte der Menschheit, besonders ihrem Mittelpunkte ahnt, das er in seinem großen Zusammenhange und Fortschreiten mit allen Mitteln menschlicher Wissenschaft, die ihm zu Gebote stehen, nachzuweisen sucht.

Das erste, ebenso mühsame als unscheinbare und damals viel verkannte Werk war ihm, im Gegensatz zu der Recepta, die zu diktatorischer Autorität traditionell und ohne Untersuchung gelangt war, die richtige Textgestalt neuen Testamentes zu finden, zu welchem Zweck er sich keine Mühe

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Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_651.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)