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durchgebildete Weltanschauung, in der das Streben zu erkennen ist, die ganze bisherige Geschichte als ein Gotteswerk in ihrer Gliederung und ihrem innersten auf das Reich Gottes bezogenen Sinn, immer im engsten Anschluß an die heilige Schrift zu erkennen.

Er ist ein treuer Sohn seiner Kirche,[1] aber gerade weil er sich an dem Marke der reformatorischen Wahrheiten groß genährt hat, bewegt er sich frei den symbolischen Büchern und noch mehr der ausgestalteten Dogmatik gegenüber.[2] Pietät und Besonnenheit wie innerste Ueberzeugung verbinden ihn


  1. S. Wächter a. a. O. 368 f. Er war mütterlicher Seits ein Nachkomme von Joh. Brenz, dem Reformator Württembergs.
  2. Ueber die Verpflichtung auf die symbolischen Bücher sagt er, man müsse die Diener der Kirche nicht zu allen particularibus in iis contentis, exegesi u. s. w. zwingen wollen. — „Man begehret weiter nichts, als daß man die Haupttheses, nicht die Ausführung, nicht den Beweis, nicht die exegesis glaube, annehme und unterschreibe“. — Die so nach der Weltmode hinleben, die haben gut orthodox sein. Sie glauben, was sie vor sich haben, es gehet nicht durch Prüfung. Aber wo einer Seele etwas an der Wahrheit gelegen ist, und sie möchte gern damit als mit einem Kleinod umgehen, da gehet es so leicht nicht. Wie ist es hernach so übel, wenn man gleich über solche subtile Seelen herfahren und ihnen quaestiones formiren und sie abstringiren und übertäuben will. Man sollte ihnen die Zunge lupfen, daß sie ein Vertrauen gewinnen und sich zurecht weisen lassen. Wächter a. a. O. S. 369. Eine nur äußerliche, politische Union zwischen Lutherischen und Reformirten ist ihm zuwider, weil es auf eine Unio spiritualis ankommen müßte; die sei bei den Wiedergebornen in beiden Confessionen von selber da; eine Unio mit der Masse der Unwiedergeborenen würde doch nicht spiritualer Art sein, sondern Schein. An der reformirten Lehre tadelt er vornehmlich nur die Prädestinationslehre, den „despotischen Gott,“ und sagt, daß der lutherische Widerstand gegen das absolutum decretum die Reformirten zur Milderung und Beschränkung nöthige. Von der Taufe sagt er: die Kinder werden darin Christo zugeeignet, was aber in ihnen eigentlich und zwar nach eines Jeden Empfänglichkeit vorgehe, sei uns impenetrabel. Bei dem heil. Abendmahl liegt ihm Alles an der realen Gegenwart von Christi Leib und Blut. Aber der Oralismus sei in den symbolischen Büchern so hoch getrieben ex zelo contra Reformatos. Er behauptet nicht, daß auch die Ungläubigen Christi Leib und Blut empfangen. Sive accipiunt impii corpus et sanguinem Domini, sive non accipiunt, ipsa praesentia realis eadem est. Res potest declarari ex ratione verbi divini. Coelestia bona appellant imo pulsant etiam incapaces. Ignis appropinquat aquae per verissimam praesentiam, quae inde strepit, nec tamen igni miscetur; quid, praesentia supposita accipiant actu et quam diu retineant, quis definiet? Catechismus Lutheri agit de fructu, qui utique fidem praesupponit, non de ipsa materia sacramenti. S. 388 f. Rechtfertigung und Heiligung sind wie ein Zwirn von zween Fäden, deren jeder doch für sich ist. Es gibt eine Gewißheit von der Sündenvergebung, die ordinarie bei dem Anfang des Glaubens im Herzen ist. Dieser ist in seinem Anfang etwas gar WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Zartes und erstarkt leichter durch directe Acte als durch actus reflexos der Selbstprüfung seiner Stärke. Doch bleiben die actus reflexi (das Bewußtsein vom Glauben) auch nicht aus und je weniger der Mensch dazu contribuirt, desto lauterer sind sie; doch muß jeder für sein Theil trachten nach dieser Gewißheit, sie bewahren und mehren. Die Versicherung oder Versiegelung von der Gnade ist aber auf des Menschen Seite von der Versicherung über die Beharrlichkeit des Gnadenstandes unterschieden. Der Glaube, auch der wahre, ist Anfangs schwach, ja kann wieder aufhören. Aber je näher der erstarkende Glaube dem Ziele kömmt, je größer mich diese Versicherung über den beharrlichen Gnadenstand und der Triumph darüber. S. 418–420. Wahre Bekehrung ist ihm ein so vielgestaltiges großes Werk, daß der Anfang von vielen Gefahren umgeben ist. Conversionis comes heterodoxiae opinio. Auch deßhalb fordert er Schonung und zarte Behandlung. S. 370. — In der Christologie ist es ein Charakterzug Bengels und seiner Schule, daß sie die menschliche Seite von Christi Person in aller Kraft geltend machen, z. B. daß er im Glauben und nicht im Schauen gewandelt; daß er Versuchungen bestanden, nicht zwar aus seiner Natur sondern von außen stammende, aber doch so, daß auch sein Wesen ihnen an sich zugänglich war und er durch seinen Willen sich in seiner Reinheit zu bewahren hatte. Er findet es eine übertriebene Redensart, daß Jesus vom ersten Moment seiner Empfängniß zur Rechten Gottes gesessen habe. S. 388.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_650.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)