Seite:Geschichte der ehemaligen Reichsstadt Gmuend.djvu/445

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Michael Grimm: Sitten, Gebräuche, Aberglauben, Sagen (Gmünd). In: Geschichte der ehemaligen Reichsstadt Gmünd von Anbeginn bis auf den heutigen Tag

von reichen Dilettanten auch mit goldenen Schuhen geschmückt war. Einst kam nun ein armer, kranker Spielmann aus der Ferne in die Stadt gezogen, dessen bitterliche Noth noch mächtiger war als seine Kunst, denn das Saitenspiel ruhte still in der Tasche, der freundliche Liedermund war stumm und geschlossen. Da zog den Jüngling sein mühselig und beladen Gemüth hinein in die Kapelle seiner Schutzherrin. Und wie er im brünstigen Gebet der Heiligen sein Herz ausgeschüttet, da beleben sich des Bildwerks Züge, und siehe! die hehre Gestalt beugt sich nieder, zieht den rechten Goldschuh aus und wirft denselben mit freundseligem Lächeln dem armen Spielmann zu, welcher herzlich und dankend und hocherfreut die Kapelle verläßt, um das Geschenk beim nächsten Meister Goldschmied zu verwerthen. Das war freilich von unserem Geiger ein sehr unbesonnener Schritt, aber so sind sie alle, die ächten Spielleute. Der Goldschmied erkennt natürlich auf der Stelle den Cäcilienschuh und schleppt den wie aus dem Himmel gefallenen Unschuldigen zum Richter, welcher eben so natürlich, wie die Richter meistens thun, auf Visionen und Wunder gar nichts gibt. Er erklärt ohne viel Besinnen den Schuh für gestohlen, – wie sollte ein bettelarmer Landfahrer anders in seinen Besitz kommen? – und verurtheilt diesen als einen abgefeimten Schelm und Dieb zum Galgen, wohin man denn auch sofort mit ihm sich aufmacht. Unter dumpfem Glockenschall und ernsten Bußgesängen zieht unser Spielmann fast mechanisch seine Geige hervor und findet sich durch ihre tröstenden Klänge aus seiner Betäubung heraus. Und er geigt so wunderbar schön, daß die Mönchspsalmen verstummen, daß Jeder zuhorcht und mit innigem Mitleid auf das arme, junge Blut blickt. Desto williger gestattet man ihm seine letzte Bitte: vor dem Altar der hl. Cäcilia sein Sterbegebet sprechen zu dürfen. Vor dem Bilde der Heiligen, in aller Gegenwart, geigt er nun noch einmal sein Lied und legt die ganze Fülle seiner schuldlosen, todesbangen, hilfeflehenden Seele hinein, die eben den letzten Kampf ausringt und ergebungsvoll verzichtet.

Empfohlene Zitierweise:
Michael Grimm: Sitten, Gebräuche, Aberglauben, Sagen (Gmünd). In: Geschichte der ehemaligen Reichsstadt Gmünd von Anbeginn bis auf den heutigen Tag. Selbstverlag des Verfassers, Gmünd 1867, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_ehemaligen_Reichsstadt_Gmuend.djvu/445&oldid=- (Version vom 1.8.2018)