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Michael Grimm: Sitten, Gebräuche, Aberglauben, Sagen (Gmünd). In: Geschichte der ehemaligen Reichsstadt Gmünd von Anbeginn bis auf den heutigen Tag

des Herrgotts.) Ist das nicht ein Wink, daß das Passionsspiel für die Stadt wirklich eine Bedeutung hatte?

Kamen die Bauern in hellen Hausen zur Aufführung in die Stadt herein, so war das Schauen nicht das Einzige, was sie thaten. Sie hatten in ihren Wäldern das Holz zum Gerüste gefällt, es unentgeltlich zur Stadt gebracht und die große Bühne bauen helfen. So trug Stadt und Land seinen Theil zum frommen Werke bei.

Für die Größe der Volksmasse, welche zur Aufführung sich versammelte, wissen die alten Leute, die mir davon erzählten, fast keinen Ausdruck zu finden.

Der öffentliche Platz bei der Kirche, wo die Aufführung stattfand, mag seine fünfzehntausend Menschen fassen, und er war gedrängt voll, und zu allen Fenstern der benachbarten Häuser schauten sie dicht gedrängt heraus und alle Dächer waren bevölkert. Als der Kreuzweg über den Marktplatz zog, der vielleicht der größte im Lande ist, sagte einer vom Rath der Juden, der hoch zu Rosse über die viel tausend Köpfe hinwegsah, zu seinem Nachbar, man könnte über die Köpfe hinweg schreiten, es würde keiner auf den Boden kommen, so dichtgedrängt war die Masse Volkes.

Und wie wohnte sie der Vorstellung an? Daß nicht alle gerührt wurden und die Gerührten auch wieder lächeln konnten, wer mag das verwunderlich finden? Der gesunde, derbe Sinn unseres Volkes bricht auch bei traurigen Anlässen gerne durch, und einem Herzen kann es bitterer Ernst und ein schmerzliches Leid sein, und doch lächelt es auch wieder durch die Thränen heraus.

Daß viele Weltlichkeit sich einschlich, und mancher leichtsinnige Gesell nur um des Spektakels willen mitmachte, wer wollte es bezweifeln? Die Juden schlugen so grob auf den kreuztragenden Christus ein, daß einer unter seinem Kreuze hervor einmal rufen mußte: „Jetzt macht es nur gnädig.“ Die Teufel, welche den Zug beim Gange durch die Straßen der Stadt umschwärmten, trieben allerhand Possen mit den Leuten, die in den Straßen wogten.

Empfohlene Zitierweise:
Michael Grimm: Sitten, Gebräuche, Aberglauben, Sagen (Gmünd). In: Geschichte der ehemaligen Reichsstadt Gmünd von Anbeginn bis auf den heutigen Tag. Selbstverlag des Verfassers, Gmünd 1867, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_ehemaligen_Reichsstadt_Gmuend.djvu/409&oldid=- (Version vom 1.8.2018)