Michael Grimm: Sitten, Gebräuche, Aberglauben, Sagen (Gmünd). In: Geschichte der ehemaligen Reichsstadt Gmünd von Anbeginn bis auf den heutigen Tag | |
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ungefähres Bild entwerfen können, ist es leicht begreiflich, daß die Darstellung des Passionsspieles nicht bloß den Armen und Niedrigen zufallen konnte. Die vornehmen Rollen mußten wohl Reiche übernehmen, da die Kleidung manch schönes Stück Geld erforderte und bei den übrigen großen Kosten und dem niedrigen Eintrittspreis wenig überblieb, für alle die kostbaren Kleider zu beschaffen. Von einem der reichsten Kaufherrn wurde mir erzählt, daß er bis in sein höchstes Alter seine Rolle nicht abgegeben habe. Und als er nicht mehr zu Pferd steigen konnte, wie ihm als Kaiphas beim Kreuzwege zukam, ließ er sich noch in seinen Wagen bei der Prozession mitführen.
Jedermann machte sich eine Ehre daraus, bei der Vorstellung sich betheiligen zu dürfen. Wenn Keines aus der Gesellschaft unter dem Jahre starb, so waren es immer die Nämlichen, welche das Spiel aufführten. Wurde eine Rolle erledigt, so riß man sich darum. Aber den Reichen fiel es nicht bei, die Ehre des Spiels allein für sich in Beschlag zu nehmen. Auch die Armen betheiligten sich. Und diese erhielten vom Überschuß der Einnahme ein kleines Trinkgeld, oder einige Speise ins Haus für ihre Familie.
Wie man durch den Putzemann die Kinder schreckt und durch Prämien sie zum Fleiß ermahnt, so wurde den braven Kindern versprochen, sie dürfen mitspielen und den Unartigen wurde mit dem Ausschluß gedroht. Ich kann mich noch gut des Jubels in der Kinderwelt erinnern, als einmal in den dreißiger Jahren das Gerede ging, man werde die Passion wieder spielen. Wie man uns damals erfreute, so that man es früher mit den Kindern, die nun als alte Leute mit inniger Freude an die Rollen sich zurückerinnern, die sie einst vertreten durften.
In Schwäbisch Gmünd hatte zu alten Zeiten fast jede Familie ihren Übernamen oder Spitznamen geführt. Und nun heißt man die Familie, in der die Rolle Christi durch einige Generationen hindurch verblieben war, bis auf diesen Tag „s’Herrgettles“ (des Herrgottles, das ist die Familie
Michael Grimm: Sitten, Gebräuche, Aberglauben, Sagen (Gmünd). In: Geschichte der ehemaligen Reichsstadt Gmünd von Anbeginn bis auf den heutigen Tag. Selbstverlag des Verfassers, Gmünd 1867, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_ehemaligen_Reichsstadt_Gmuend.djvu/408&oldid=- (Version vom 1.8.2018)