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jetzt will ich dir das Herz ausreissen!“ Der unglückliche König sollte jedoch auch jetzt noch nicht auf seinem Throne verharren, denn bald darauf wurde er wieder vertrieben und erst nach neuen Kämpfen gelang es ihm wieder Herr Imeretiens zu werden, bis ihn endlich der Tod allen Drangsalen entriss. Das ist die Unglücksgeschichte des Königs Bagrat, eine genügende Illustration zur Geschichte Imeretiens während der letzten drei Jahrhunderte seiner Unabhängigkeit. Fast ununterbrochen waren die Kämpfe, denen dieses Land ausgesetzt war und die Gräuelthaten, die dabei verübt wurden, erinnern lebhaft an die Thronstreitigkeiten, welche zur Zeit der Nachfolger Chlodwigs das Frankenreich heimsuchten, denn auch Weiber, die Fredegunden und Brunhilden an Grausamkeit gleich kamen, fehlten hier nicht.

Im Verlaufe von 370 Jahren hatte Imeretien dreissig Könige, von denen sieben eines gewaltsamen Todes starben, dreien wurden die Augen ausgestochen und zwei und zwanzig vom Throne gestürzt, den mancher von ihnen mehrere Male bestieg.

Die ganze Geschichte Imeretiens nach seiner Trennung von den übrigen Provinzen Georgiens ist nichts weiter als ein ununterbrochenes Drama, und zwar waren die Urheber desselben oft die Landesbewohner selbst, denn die Ideale von Glauben und Freiheit, für die einst alle Georgier gemeinschaftlich mit äusseren Feinden gekämpft hatten, waren geschwunden und eitle Herrschsucht war der Endzweck alles Strebens geworden.

Seit dem Ende dieser blutigen Kämpfe sind nun schon fast hundert Jahre verflossen und während dieser Zeit hat sich in Imeretien viel geändert, ja in seiner Hauptstadt Kutais sind fast die Spuren der Vergangenheit verschwunden. Zwar hat diese Stadt mehr als andere Orte Georgiens den örtlichen Charakter bewahrt und ist bedeutend weniger russifiziert als Tiflis, aber grössere geschichtliche

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Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/89&oldid=- (Version vom 1.8.2018)