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bedeutenderen mit gemeinsamer Kraftanstrengung vollbrachten Thaten.

In ganz Westeuropa findet man zahlreiche, auf schwer zugänglichen Felsen und Bergen erbaute Ritterburgen, aber nirgends wird man einer solchen Anzahl auf ähnlichen Höhen aufgeführter Kirchen und Klöster begegnen wie in Georgien, denn nirgends, Ungarn vielleicht ausgenommen, war die christliche Religion Jahrhunderte lang so bedroht wie in diesem Lande. Die georgischen Ritter kämpften nicht nur für die Verteidigung ihrer Freiheit und ihres Eigentums, aber auch für ihren Glauben und da für diesen die Gefahr nie völlig schwand, baute man einen grossen Teil der Gotteshäuser auf schwer zugänglichen Höhen, um sie so vor der Zerstörung Seitens der mahomedanischen Eroberer zu sichern. Vor dem Feinde fliehend rückten die georgischen Mönche und Priester gewissermassen dem Himmel näher und in der That hat der Anblick dieser oft mit ihren Zinnen die Wolken berührenden Gotteshäuser etwas Grosses an sich.

Die ganze thatenreiche Vergangenheit Georgiens stand mir lebhaft vor Augen, als ich auf den Mauertrümmem des alten Klosters stehend in die weite, schöne Landschaft hinunterschaute. Mein Fuss stiess auf einen Totenschädel, der vielleicht schon Jahrhunderte hier in der Sonne bleichte und Gedanken an die Vergänglichkeit alles Irdischen trübten plötzlich meine heitere Stimmung. Hier angesichts der uralten Hauptstadt eines einst so mächtigen Reiches, das heute von der zivilisierten Welt fast vergessen ist, dessen Ruhmesglanz nun wie dieser Totenschädel in der Vergangenheit hinbleicht, kann es einem Jeden schwer werden, sich solcher Gedanken zu erwehren. Doch der Anblick der herrlichen Natur, die ringsumher im heitern Sonnenlichte prangte, verwehte bald wieder diesen Anflug von Trauer und heiteren Mutes setzten wir unsere Reise fort. Unser Weg führte jetzt am Ufer der Aragwa

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Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/65&oldid=- (Version vom 1.8.2018)