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Kraft noch Begeisterung abzusprechen ist. Ihre mittelalterliche Poesie war grösstenteils religiöser Art und als solche hat sie allerdings eine ansehnliche Höhe erreicht. Dies besonders die Lieder von Narses Schnorgali, Gregor Narekazi und Chartschatur Wartapet. Die Hymnen dieser von aufrichtigem Glauben beseelten Dichter werden noch heute in den armenischen Kirchen gesungen und die Lieder von Schnorgali wurden sogar in mehrere europäische Sprachen übertragen. Dieser letztgenannte Dichter hat auch eine Geschichte Armeniens von der Schöpfung der Welt bis zu der ihm zeitgenössischen Epoche in Versen verfasst, wofür ihm von den Gelehrten des Abendlandes der Titel eines armenischen Livius zuerkannt wurde. Allerdings mag es ein eitles Beginnen sein, die Geschichte eines Volkes von der Schöpfung der Welt an zu schreiben, aber für die Armenier, die über Noah und seine nächsten Nachkommen sehr genaue Berichte haben und auch genau wissen, dass Noah armenisch sprach, mag ein solches Unternehmen leichter als für irgend Jemand sein. Unter den weltlichen Dichtern der klassischen Epoche war der bedeutendste Gregor Magistros, welcher im fünften Jahrhunderte lebte.

Nach dem Untergange des armenischen Reiches zerstreute sich ein grosser Teil seiner Bewohner über Westasien und Osteuropa und gründete dort zahlreiche Kolonien. Trotz des drückenden Schicksals, welches seitdem den Armeniern zuteil ward, vernachlässigten sie jedoch nie ihr Geistesleben und pflegten sogar in weiter Fremde ihre vaterländische Kultur. Der beste Beweis hierfür sind die zahlreichen armenischen Druckereien, welche in vielen Städten Asiens und Osteuropas bis auf unsre Zeit bestanden haben. Wo sich nur eine bedeutendere Anzahl Armenier zusammenfand, schritten sie sofort zur Gründung einer Druckerei und Herausgabe von Büchern, um ihre Sprache und Litteratur vor dem Untergange zu bewahren.

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Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/45&oldid=- (Version vom 1.8.2018)