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Georgier im achtzehnten Jahrhunderte kein Geistesprodukt von Wert aufzuweisen und in der schönen Litteratur sind nur zwei Schriftsteller zu nennen, deren Werke auch heute noch gelesen werden. Es sind das die Dichter Guramoschwili und Sawatnawa. Der letztere war der Liebling des Königs Heraklius II., und seine Lieder werden heute noch vom Volke gesungen. Im übrigen schlummerte die schöne Litteratur und erst um die Mitte unseres Jahrhunderts erwachte sie von neuem.

Ehe sich noch in den Sechziger Jahren die neue Kulturbewegung sichtlich bemerkbar machte, traten Lyriker auf, die den damals die georgische Gesellschaft durchstürmenden Vergnügungsrausch mit ihren Liedern begleiteten.

Der erste unter ihnen war Alexander Tschawtschawadse, ein Anakreontiker, der jedoch vom Byronismus angesteckt war und deshalb mit seiner Muse auf Irrwege geriet. Er, der ein mittelmässiger georgischer Hafiz hätte werden können, verfiel in sinnliche Verweichlichung und schrieb Sehnsuchtslieder, die wenig aufrichtiges Gefühl atmen und noch weniger männliche Kraft. Der Byronismus hatte ihn nichts weiter als den Schmerz gelehrt, aber den Schmerz fühlte er nicht mächtig genug, um ihn kräftig ausdrücken zu können. Auch haftet an ihm noch viel orientalische Überschwänglichkeit, und wenn er das Dunkel der Nacht mit dem Dunkel der Locken seiner Geliebten oder den Schneeglanz ihres Busens mit dem Glanze des Blitzes vergleicht, so müssen dergleichen Absonderlichkeiten dem Europäer höchst unpoetisch vorkommen.

Ernsthafter ist der Byronismus seines Zeitgenossen Nikolaus Barataschwili, der den Weltschmerz zu begreifen schien und der erste georgische Dichter war, der in die Gedankenwelt des europäischen Westens eindrang und Child Harolds misantropische Klagerufe in der Litteratur seines Vaterlandes widerhallen liess. Trotz seines Byronismus

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Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/109&oldid=- (Version vom 1.8.2018)