„O, da Sie Noun so beweinen,“ sagte Indiana, „Sie, der sie nicht gekannt hat, da Sie den Schmerz so tief empfinden, den Sie mir bereitet haben, so wage ich nicht mehr, Ihnen Vorwürfe zu machen. Beweinen wir sie gemeinsam, mein Herr, sie wird von des Himmels Höhen auf uns herabsehen und uns verzeihen.“
Kalter Schweiß trat auf Raymons Stirn. Die Worte: „Sie, der sie nicht gekannt hat,“ befreiten ihn zwar von einer furchtbaren Angst, aber diese Berufung an den Schatten seines Opfers traf ihn mit einem abergläubischen Schrecken. Heftig erschüttert, erhob er sich und schritt an ein offenes Fenster. Indiana blieb schweigend und tief bewegt sitzen. Nachdem sie Raymon wie ein Kind hatte weinen sehen, empfand sie eine Art geheimer Freude.
„Er ist gut!“ dachte sie; „er liebt mich, sein Herz ist edel. Er hat einen Fehler begangen, aber seine Reue tilgt ihn aus, und ich hätte ihm schon früher verzeihen sollen.“
Sie betrachtete ihn mit zärtlicher Rührung und nahm die Gewissensbisse des Schuldigen für die Reue der Liebe.
„Weinen Sie nicht mehr,“ bat sie, indem sie sich erhob und zu ihm trat, „ich habe die arme Noun getötet, ich allein bin die Schuldige. Dieser Vorwurf wird mein ganzes Leben lang auf mir lasten; ich gab einem Gefühl des Mißtrauens und des Zornes Raum. Auf sie warf ich alle Bitterkeit, die ich gegen Sie fühlte, Sie allein hatten mich beleidigt, und ich bestrafte meine arme Freundin dafür. Ich war sehr hart gegen sie! …“
„Und gegen mich,“ rief Raymon, plötzlich die Vergangenheit vergessend, um nur noch an die Gegenwart zu denken.
Frau Delmare errötete.
„Ich hätte Ihnen vielleicht nicht diesen schmerzlichen Verlust zuschreiben sollen, den ich in jener furchtbaren Nacht erlitt,“ sagte sie; „aber ich kann Ihr unzartes und sträfliches Betragen gegen mich nicht vergessen.
George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/69&oldid=- (Version vom 1.8.2018)