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„Nein, in Lagny, es ist jetzt sein Besitztum.“

„Guter Raymon!“ dachte Indiana, „er hat dieses Landgut gekauft, um mir einen Zufluchtsort zu bieten, wo die Bosheit mich nicht erreichen kann. Er wußte wohl, daß ich kommen würde.“

Trunken von Glück und neubelebt, begab sie sich in ein Hotel garni und überließ sich die Nacht und einen Teil des folgenden Tages der Ruhe. Es war so lange, daß die Unglückliche keinen friedlichen Schlummer genossen hatte! Nach ihrem Erwachen kleidete sie sich sorgfältig an, sie wußte, daß Raymon auf die Reize der Toilette viel hielt, und daher hatte sie schon am vorigen Abend ein hübsches neues Kleid gekauft. Aber als sie ihr Haar ordnen wollte, suchte sie vergeblich ihre langen, schönen Flechten; sie waren während ihrer Krankheit unter der Schere der Krankenwärterin gefallen. Jetzt bemerkte sie es zum erstenmal, so sehr hatte der Gedanke an Raymon sie von allem anderen abgelenkt.

Doch als sie ihre kurzen schwarzen Haare auf ihrer weißen Stirn hatte locken lassen, als sie ihren hübschen Kopf mit einem kleinen Hute von englischer Form bedeckt und in ihren Gürtel ein Bukett der Blumen gesteckt hatte, deren Duft Raymon besonders liebte, hoffte sie, ihm immer noch zu gefallen.

Sie nahm am Nachmittag einen Wagen und kam gegen neun Uhr abends in ein Dorf am Saum des Waldes von Fontainebleau. Hier verließ sie den Wagen und schlug zu Fuß einen Waldweg ein, auf dem sie in einer Viertelstunde an den Park von Lagny gelangte. Da sie die kleine Pforte verschlossen fand, Raymon aber überraschen wollte, so ging sie an der alten morschen Mauer des Parkes hin und fand auch bald eine in Verfall geratene Stelle, die sie ohne zu große Mühe überstieg.

Als sie ihren Fuß auf einen Boden setzte, der Raymon gehörte und jetzt ihr Asyl, ihr Heiligtum werden sollte, fühlte sie ihr Herz vor Freude hüpfen. Sie eilte mit leichten Schritten durch die Alleen, die

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George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/157&oldid=- (Version vom 1.8.2018)