Thätigkeit beim Zustandekommen der Leipzig-Dresdner Bahn als erste große Vollbahn Deutschlands rückhaltloser und freudiger zu gedenken, als dies in der That geschehen. Es ist dies die Schrift, welche die ehemalige Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie im Jahre 1864 zur Feier des 25jährigen Jubiläums der Eröffnung der ganzen Strecke von Leipzig nach Dresden herausgegeben hat. Zwar sieht auch sie sich veranlaßt, List’s als Desjenigen zu gedenken, welcher zuerst den Anstoß zum Baue dieser Bahn gegeben hat, im Uebrigen aber merkt man ihr’s an, daß es ihr schwer gefallen ist, List’s Verdienste anzuerkennen, denn sie beschränkt sich nur auf Abwehrungen, die uns, da wir sie nicht als absichtlich falsch annehmen wollen, heute in Anbetracht der inzwischen vollkommen veränderten Zeitlage recht unzutreffend erscheinen. Anstatt zudem offen anzuerkennen, daß List anfangs nicht nur der Anreger, sondern auch die Seele der ganzen Angelegenheit war, und anstatt — wie das meist bei den übrigen um dieselbe verdienten Männern geschehen — näher anzugeben, worin List’s Thätigkeit bestand, beschränkt sich die Schrift meist darauf, zu sagen, daß List „mit dabei“ war.
Diesen Abwehrungen und Verschweigungen List’scher Verdienste haben wir es denn wohl auch besonders zu danken, daß bis heute in Leipzig selbst kein öffentliches Zeichen, weder ein Denkmal, noch ein Straßenname, von ihm spricht. Der einzige Ausnahmefall hiervon ist aber sonderbar und bezeichnend genug:
Als im Jahre 1876 die Leipzig-Dresdner Eisenbahn in Staatsbesitz überging, da beschlossen die dankbaren Actionäre, dem Mitbegründer und verdienstvollen langjährigen Leiter des Unternehmens, Gustav Harkort, ein dauerndes Zeichen ihrer Anerkennung zu widmen, und sie setzten ihm gegenüber dem Dresdner Bahnhofe zu Leipzig in den öffentlichen Anlagen ein Denkmal — eine Colossalbüste auf hohem Syenitsockel. Harkort ist außerdem noch durch ein Medaillonbild unter einem baldachinartigen Aufbau im Treppenhause des Directorialgebäudes verewigt. Mit der Errichtung eines Harkort-Denkmals auf öffentlichem Platze wurde aber in dem mit der Geschichte der Bahn weniger vertrauten Publicum der Glaube erweckt, als sei Harkort allein als Derjenige zu bezeichnen, der das Unternehmen in’s Leben rief. So hoch auch dessen Verdienste um die Leipzig-Dresdner Bahn und namentlich um deren Fortentwicklung anzuschlagen sind, so wird doch Jeder, dem ein tieferer Einblick in die Entstehungsgeschichte vergönnt war, zugestehen, daß die Erregung einer solchen Annahme gleichbedeutend
Robert Krause: Friedrich List und die erste große Eisenbahn Deutschlands. Leipzig 1887, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_List_und_die_erste_grosse_Eisenbahn.djvu/06&oldid=- (Version vom 17.8.2016)