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Theodor Müller: Die Geschichte der Breslauer Arbeiter-Bewegung. Erster Teil

Diskussion beteiligten sich Scheil, Bräuer und Ahr im Sinne Lassalles, während Louis Cohn, Schubert, Siegusch und der Optiker Heidrich die Schulze-Delitzschsche Selbsthilfe vertraten.

Doch der Gedanke, daß die Macht der Bewegung nur in der straffen Organisation begründet ist, hatte auch unter den Breslauer Pionieren der Sozialdemokratie schon zu festen Fuß gefaßt, als daß nicht alsbald wieder das Streben nach einer solchen Organisation aufgetreten wäre. Am 11. Juli fand abermals in der „Sonne“ eine von Ahr, Bräuer und Scheil einberufene Arbeiterversammlung statt, an der diesmal fast nur Mitglieder des aufgelösten Allgemeinen Arbeitervereins teilnahmen. Zunächst wurden die Ergebnisse der verflossenen Tagung des Norddeutschen Reichstages besprochen, und an ihnen wies Scheil eindringlich nach, wie nötig es für die Arbeiter sei, zusammen zu halten. Das gab Bräuer Veranlassung, auf die Notwendigkeit einer streng geschlossenen Arbeiterpartei hinzuweisen. Er befürwortete einen Antrag auf Gründung eines Breslauer demokratischen Arbeiter-Wahlvereins. Auch Ahr, der an der Schließung des Allgemeinen Arbeitervereins scharfe Kritik übte und die Gründe des Kammergerichts nicht verstehen konnte, trat für eine solche Gründung ein, die aber Kräcker als verfrüht bekämpfte; man dürfe die Büchse nicht vorzeitig ins Korn werfen; denn trotz der Entscheidung des Kammergerichts sei die Lassallesche Organisation noch nicht aufgehoben; auch seien die Geldverhältnisse der Breslauer Arbeiter zu berücksichtigen. Krause erklärte sich ebenfalls gegen den Bräuerschen Antrag. Er, der als einer der ersten Verfechter der Liebknechtschen Richtung in Breslau zu gelten hat, befürwortete vielmehr die Schaffung eines sozialdemokratischen Arbeitervereins. Indessen wurde schließlich doch der Bräuersche Antrag angenommen. Zur Ausarbeitung einer Satzung wurde darauf eine Kommission eingesetzt; in diese berief man Scheil, Ahr, Bräuer, Michler, Hugo Friedländer[1], Zapke und Siegusch.

Indessen kam dieses Komitee damals zu keiner praktischen Betätigung, vielmehr schlug es einer am 1. August tagenden Versammlung vor, weitere Schritte zur Bildung eines besonderen Arbeiter-Wahlvereins so lange zu vertagen, bis der Urteilsspruch des Breslauer Stadtgerichts wegen der Schließung der hiesigen Filiale des Allgemeinen Arbeitervereins ergangen sei. Wenn auch dem Vorschlage zugestimmt wurde, so trug doch gerade diese Versammlung schon die ersten deutlichen Vorzeichen kommender innerer Auseinandersetzungen der Breslauer Sozialdemokratie in sich. Es handelte sich um eine Aussprache über das Programm Johann Jacobys. Zunächst erläuterte Ahr dieses Programm dahin, daß Jacoby die Lösung der sozialen Frage in der gerechten Verteilung des Arbeitsertrages zwischen Kapital und Arbeit suche. Wenn Jacoby für diese Verteilung die Staatshilfe in Anspruch nehmen wolle, so müsse dieser Satz im engsten Zusammenhange mit seinem Programm aufgefaßt werden, d. h. im Hinblick auf den rein demokratischen Staat, wie ihn eben Jacoby erstrebe. Die Worte „Selbsthilfe“ und „Staatshilfe“ haben insofern große Verwirrung


  1. Genosse Hugo Friedländer lebt in Berlin als Journalist.
Empfohlene Zitierweise:
Theodor Müller: Die Geschichte der Breslauer Arbeiter-Bewegung. Erster Teil. Sozialdemokratischer Verein Breslau, Breslau 1915, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-aus-Mueller_(1915).djvu/8&oldid=- (Version vom 31.7.2018)