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Theodor Müller: Die Geschichte der Breslauer Arbeiter-Bewegung. Erster Teil

gegen Übernahme von 10 000 Franks Unkosten, und die Verpflichtung, das Begräbnis nach jüdischem Ritus auszurichten. Die Gräfin beabsichtigte, den Sarg durch die großen Gemeinden des Vereins zu führen und überall feierliche Totenfeste zu veranstalten. Doch gelang ihr nur in Mainz die imposante Ausführung ihres Vorhabens. Als der Sarg auf einem Dampfer in Cöln anlangte, beschlagnahmte ihn die Polizei im Auftrage der Familie und führte ihn nach Breslau, wo er sofort mit würdeloser Eile auf dem jüdischen Friedhofe bestattet wurde. Die Breslauer Polizei hatte den Zeitpunkt von Lassalles Beerdigung geheim gehalten. Als die letzte Scholle Erde auf den Sarg fiel, meinte Friedland schmunzelnd: Nun ist der große Kampf begraben. Zur Mutter Lassalles sagte die Gräfin Hatzfeldt: „Sie sind eine Gans, die einen Adler ausgebrütet hat.“

Der Schriftsteller Hugo Friedländer schildert die Beerdigung wie folgt: „Es sind fast 50 Jahre verflossen – ich war ein blutjunger Gymnasiast – da wohnte ich auf dem israelitischen Friedhofe in Breslau einem seltenen Leichenbegängnis bei.... Die Leiche wurde in dem Erbbegräbnis der Familie Lassal beigesetzt. Etwa 20 Arbeiter hatten sich zur Beerdigung eingefunden. Ich möchte bezweifeln, daß diese Arbeiter Sozialdemokraten waren, denn erst viel später machten sich in Breslau, durch Begründung eines »Breslauer Arbeitervereins«, die ersten Anfänge einer politischen Arbeiterbewegung geltend. Und erst im Oktober 1867 wurde der Breslauer Arbeiterverein in eine Mitgliedschaft des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins umgewandelt. Aber der Beerdigung wohnte der schlesische Dichter Karl von Holtei, der damalige Chefredakteur der »Breslauer Zeitung«, Dr. Julius Stein, der damalige Chefredakteur der »Breslauer Morgenzeitung«, Dr. Moritz Elsner, zwei achtundvierziger Demokraten und ehemals Abgeordnete der Nationalversammlung, die Freundin Lassalles, Gräfin Sophie von Hatzfeldt, der Freund Johann Jacobys, Kaufmann Louis Cohn, genannt der »Wühler-Cohn«, und der Freund Lassalles, der 1875 verstorbene Freiheitsdichter Georg Herwegh, bei. Von Herwegh stammt die Inschrift auf dem Leichenstein Lassalles: »Hier ruht, was sterblich war von Ferdinand Lassalle, dem Denker und Kämpfer.«“ Hierbei scheint sich Genosse Friedländer zu irren, denn nach anderen Überlieferungen stammt die Inschrift von dem Altertumsforscher und Philologen August Böckh.

Beim Ableben Lassalles zählte der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein in ganz Deutschland 4610 Mitglieder; in Breslau war nicht ein Mitglied zu verzeichnen. Der Unstern, der über Lassalles letzten Tagen gewaltet hatte, stand auch über seinem Testament. Die namhaften Renten, die Lassalle einzelnen Freunden vermachte, waren wohl dazu bestimmt, diese Männer unabhängig zu stellen und ihnen die Förderung der Agitation zu ermöglichen, aber sie erreichten diesen Zweck nicht. Bucher wurde ein Beamter Bismarcks, der Kandidat Alexei ein pietistischer Reaktionär, und Rüstow hat nichts für die Propaganda getan, wenn er auch ein ehrlicher Demokrat blieb. Damit allein war noch nicht viel verloren. Verhängnisvoller erwiesen sich die Bestimmungen des Testaments, die sich unmittelbar auf

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Theodor Müller: Die Geschichte der Breslauer Arbeiter-Bewegung. Erster Teil. Sozialdemokratischer Verein Breslau, Breslau 1915, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-aus-Mueller_(1915).djvu/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)