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Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1

Rücksicht auf sein jugendliches Alter und seine augenscheinlich aufrichtige Reue zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe begnadigt, Reinsdorf und Küchler dagegen im Februar 1885 auf dem Hofe des Zuchthauses zu Halle a. S. hingerichtet.

Reinsdorf sagte in seiner letzten Verteidigungsrede vor dem Reichsgericht: „Mein Herr Verteidiger hat sich alle Mühe gegeben, meinen Kopf zu retten. Ich sterbe aber gern für die gerechte Sache der Anarchie. Und wenn ich zehn Köpfe hätte, ich würde sie mit Freuden aufs Schaffot legen, denn ich weiß, ich sterbe für die gerechteste Sache der Menschheit. Für einen so armseligen, schwindsüchtigen Proletarier ist es am besten, er legt sein Haupt auf das Schaffot. Nicht durch Stimmzettel, sondern durch gewaltsame Attentate wird die Menschheit von der Ausbeutung und Unterdrückung befreit werden. Unsere Verurteilung und Hinrichtung wird Tausende von Proletariern in die Reihen der Anarchisten treiben. Die Zeit ist nicht mehr fern, in der kein Bourgeois auf der Straße, im Kasino oder im Hause sicher sein wird.“

Kurz vor seiner Hinrichtung sang Reinsdorf: „Stiefel, du mußt sterben.“ Mit dem Rufe: „Es lebe die Anarchie!“ betrat er das Schaffot. In demselben Augenblick rollte sein Kopf in den Sand. Küchler konnte die Hinrichtung Reinsdorfs von seiner Zelle aus genau beobachten. Er wurde mehr tot als lebendig zum Richtplatz geschleift. Eiligst wurde das Blut Reinsdorfs vom Schaffot abgewaschen und Küchler daraufgespannt. „Meine arme Frau, meine

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Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1. Continent, Berlin 1908, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Kulturhistorische_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1908).djvu/53&oldid=- (Version vom 1.8.2018)