Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1 | |
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Der Verteidiger, Justizrat Dr. Sello (Berlin), legte Revision ein. Am 4. Januar 1884 kam die Sache vor dem zweiten Strafsenat des Reichsgerichts unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Drenkmann zur Verhandlung. Justizrat Dr. Sello wies vor dem Reichsgericht darauf hin, daß das Urteil unter dem Hepp-hepp-Geschrei des Straßenpöbels gefällt worden sei, und machte geltend, daß der Zeuge, Restaurateur Engel, ein Vetter des Angeklagten Heidemann jr. und ein Neffe des Angeklagten Heidemann sen., wohl vom Vorsitzenden belehrt worden sei, daß er infolge des nahen Verwandtschaftsverhältnisses das Recht habe, sein Zeugnis zu verweigern, daß der Vorsitzende es aber unterlassen habe, den Zeugen zu belehren, er habe das Recht, den Eid zu verweigern. Dies war ausschlaggebend. Das Reichsgericht hob aus diesem Anlaß das Urteil auf und verwies die Sache zur nochmaligen Verhandlung an das Schwurgericht zu Konitz (Westpreußen), und zwar mit folgender Begründung: „Wenn auch angenommen werden kann, daß der Zeuge Engel zugunsten des Angeklagten Heidemann jr. ausgesagt hat, da er von diesem als Entlastungszeuge vorgeschlagen war, so ist es doch nicht ausgeschlossen, daß er zuungunsten eines anderen Angeklagten etwas bekundet habe, zumal auch der Staatsanwalt eine Frage an ihn gerichtet hat, deren Beantwortung protokollarisch nicht festgestellt ist. Es liegt nun die Möglichkeit vor, daß, wenn der Zeuge darauf aufmerksam gemacht worden wäre, daß er das Recht habe, den Eid zu verweigern, er von diesem Recht Gebrauch gemacht hätte und daß alsdann
Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1. Continent, Berlin 1908, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Kulturhistorische_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1908).djvu/47&oldid=- (Version vom 31.7.2018)