Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1 | |
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in der Leiche mit voller Bestimmtheit die Esther Solymosi. Der Geheime Medizinalrat Professor Dr. Virchow und der Gerichtsarzt Professor Dr. Skreczka (Berlin) schlossen sich schriftlich den Gutachtern an. – Auf die Frage des Vorsitzenden an die Mutter der Esther, worauf sie ihre Behauptung begründe, daß ihre Tochter durch die Juden umgebracht worden sei, erwiderte sie: „Ich träumte es, Gott hat es mir verkündet.“ Der Hauptzeuge, der inzwischen 14 Jahre alt gewordene Moritz Scharf, hielt sein vor dem Untersuchungsrichter Bary abgelegtes „Geständnis“ vollständig aufrecht. Er erklärte auf Befragen des Vorsitzenden: „Ich gehöre nicht mehr zu den Juden.“
Am zweiten Verhandlungstage sagte der Hauptangeklagte, Tempeldiener Josef Scharf, zu seinem Sohne Moritz: „Wagst du es, zu sagen, daß nicht ich die Tempeltür geschlossen habe?“ – Moritz Scharf: „Ich habe sie geschlossen.“ – Josef Scharf: „Dann lüge ich?“ – Moritz Scharf: „Dann lügen Sie, das sage auch ich.“ – Josef Scharf: „Freilich, du bist in jeder Beziehung gut abgerichtet.“ – Moritz Scharf zu seinem Vater: „Sie haben zu schweigen!“ – Josef Scharf: „Also du sprichst mit mir nur per Sie?“ – Moritz Scharf: „Wollen Sie vielleicht, daß ich Sie einen hochedlen und sehr gestrengen Herrn nenne?“ – Josef Scharf: „Ich bitte dich noch einmal schön, die Wahrheit zu sagen; ich habe keinen Abscheu vor dir, weil du mein Sohn bist.“ – Moritz Scharf: „Daran liegt mir nichts.“
Auf Antrag des Staatsanwalts und der Verteidiger wurde schließlich beschlossen, eine örtliche
Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1. Continent, Berlin 1908, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Kulturhistorische_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1908).djvu/40&oldid=- (Version vom 31.7.2018)