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Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1

Ungarn und Böhmen herrschte eine ganz furchtbare Judenhetze.

Da plötzlich wurde eines Tages, am 1. April 1882, in dem in Südungarn belegenen Dorfe Tisza Eszlar ein junges Mädchen, namens Esther Solymosi vermißt. Sehr bald verbreitete sich im Dorfe die Kunde, das Mädchen sei von den Juden geschlachtet worden, da diese zu ihren Osterkuchen (Mazzes) Christenblut benötigten. Eine Anzahl Leute wollte gesehen haben, daß das Mädchen von Juden gewaltsam in die Synagoge geschleppt worden und von dort nicht mehr zum Vorschein gekommen sei. Der Synagogendiener Scharf nebst sieben anderen Juden wurden verhaftet. Außerdem entstand in dem weltentlegenen Theißdorfe, in dem der antisemitische Reichsratsabgeordnete v. Onody als Gutsherr herrschte, eine regelrechte Judenrevolte. Die Wohnungen und Läden der Juden wurden demoliert, die Synagoge geschändet. Die Juden wurden, sobald sie sich im Dorfe sehen ließen, geschlagen, mit Schmutz und Steinen beworfen und verhaftet.

Mit der Führung der Untersuchung wurde der blutjunge Referendar Josef Bary betraut. Dieser Mann, der vollständig unter dem Banne des Abg. v. Onody stand, scheute keine Mittel, um den Nachweis zu führen, daß von den Juden ein Ritualmord begangen sei. Die Dorfbewohner waren von dem Ritualmord überzeugt, denn herumziehende Gaukler, Wahrsagerinnen und Kartenlegerinnen hatten es ihnen gesagt, außerdem spukte es, insbesondere in der Mitternachtsstunde, in der Nähe der Synagoge.

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Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1. Continent, Berlin 1908, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Kulturhistorische_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1908).djvu/35&oldid=- (Version vom 1.8.2018)