Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1 | |
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Aber wer und wo war der Mörder? Der Wirtin gegenüber hatte sich der mutmaßliche Mörder als Ernst Sander ausgegeben. Er wohnte erst seit acht Tagen in dieser möblierten Wohnung; er hatte vorher 14 Tage lang bei einem Schuhmachermeister, dicht neben dem Postamt in der Taubenstraße, gewohnt. Auch bei seinen Wirtsleuten in der Taubenstraße hatte er sich als Kaufmann Ernst Sander aus Bernburg gemeldet. Er hatte sich augenscheinlich mit Absicht in möglichster Nähe von Postämtern möblierte Zimmer gesucht. Schon in der Taubenstraße hatte er augenscheinlich einige Postanweisungen an sich selbst gesandt. Sein verruchter Plan, den Geldbriefträger zu ermorden und zu berauben, war ihm aber wohl infolge der ungünstigen Lage seines Zimmers nicht gelungen. Deshalb hatte er sich ein besser gelegenes Zimmer in der Adalbertstraße gegenüber dem Postamt gemietet.
Fast volle vierzehn Tage stand Berlin unter dem Schrecken des furchtbaren Verbrechens, denn trotz ausgesetzter hoher Belohnung, und obwohl die Kriminalpolizei eine fieberhafte Tätigkeit entfaltete, war von dem Mörder keine Spur zu entdecken. Da plötzlich fiel es einer Kellnerin in einer der Mordstätte gegenüberliegenden Restauration ein, daß eines Abends ein junger Mann von 25 bis 26 Jahren dort verkehrt und ihr mitgeteilt habe, er wohne gegenüber. An jenem Abend fand von einigen Stammgästen eine lebhafte Auseinandersetzung über Kavallerieattacken statt. Der junge Mensch hatte sich in das Gespräch gemischt und sich dabei als ehemaliger Kürassier-Unteroffizier
Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1. Continent, Berlin 1908, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Kulturhistorische_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1908).djvu/30&oldid=- (Version vom 1.8.2018)