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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7

sprengen. Nur der furchtbare Regen, der tags vorher und die ganze Nacht hindurch sich über das Erdreich ergoß, hatte den teuflischen Plan vereitelt. – Der Umstand, daß am Sonnabend, den 12. Mai 1878 der 21 jährige Klempnergeselle Hödel in Berlin Unter den Linden auf Kaiser Wilhelm I. schoß, als der Monarch nachmittags gegen 31/4 Uhr mit seiner Tochter, der Großherzogin Luise von Baden im offenen Wagen aus dem Tiergarten kam, veranlaßte den Reichskanzler, Fürsten v. Bismarck, dem Reichstage ein Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie vorzulegen. Das Gesetz wurde jedoch vom Reichstage abgelehnt. Sehr bald darauf, Sonntag den 2. Juni 1878, als der damals 81jährige Kaiser nachmittags gegen 2 Uhr im offenen Wagen von seinem Palais nach dem Tiergarten fuhr, schoß der dreißigjährige Dr. phil. Karl Nobiling aus seiner Unter den Linden 18 im zweiten Stock belegenen Chambregarnistenwohnung mit einem mit Schrot gefüllten Jagdgewehr auf den Kaiser. Der greise Monarch, der sofort nach seinem Palais zurückfahren mußte, wurde in gräßlichster Weise verwundet, so daß er sehr lange Zeit schwer krank darniederlag. Der Kaiser war genötigt, seinem Sohn, dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm, späteren Kaiser Friedrich, die Regentschaft zu übertragen. Auf den Rat des Reichskanzlers Fürsten v. Bismarck wurde der damals vertagte Reichstag aufgelöst und unter dem Hochdruck der Attentate die Neuwahlen vorgenommen. Diese ergaben eine wesentlich andere Zusammensetzung des Reichstages. Letzterer genehmigte das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen, auf den Umsturz der Staats- und Gesellschaftsordnung gerichteten Bestrebungen der Sozialdemokratie.“ Am 21. Oktober 1878 mittags wurde das Gesetz im Reichstage in dritter Lesung angenommen und bereits an demselben Tage abends gegen 6 Uhr wurde das Gesetz im „Deutschen Reichsanzeiger“ veröffentlicht. Mit dieser Veröffentlichung hatte das Gesetz Gesetzeskraft

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/158&oldid=- (Version vom 16.7.2024)