Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 7 (1912).djvu/135

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7

einzugehen, habe ich keine Veranlassung. Es ist polizistische Geschichtsschreibung – das sagt alles. Ebensowenig kann ich mich mit den Plagiaten des Gießener Polizeidirektors befassen. Was geht mich Babeuf an, der 30 Jahre vor meiner Geburt guillotiniert wurde? Was Mazzini, der wie männiglich bekannt, ein erbitterter Feind des Sozialismus ist? Was Fieschis Höllenmaschine, die explodierte, als ich noch mit der Schulmappe unter dem Arme in die Sexta ging? Was geht mich der „Bund der Geächteten“ und der „Bund der Gerechten“ an? Und weshalb verliest man dieses Zeug? Mit diesem Prozeß hat es nicht das geringste zu tun. Aber freilich, es ist ganz darauf berechnet, mich im ungünstigsten Lichte erscheinen zu lassen und mich den Geschworenen als Schinderhannes oder „Carlo Moor“ hinzustellen. Es ist grundfalsch, daß ich in dem berüchtigten Kölner Kommunistenprozeß eine hervorragende Rolle gespielt habe. Ich war an diesem Prozeß direkt gar nicht beteiligt; ich war weder Angeklagter noch Zeuge. Freilich kam mein Name in der öffentlichen Prozeßverhandlung häufig vor, aber nur, weil er auf einem infam gefälschten Aktenstück stand, das Herr Stieber, um die Verurteilung der Angeklagten zu erwirken, produziert hatte. Ich rede von dem sogenannten „Protokollbuch“ das die Sitzungsberichte der Londoner Gemeinde enthalten und von mir als Schriftführer mit unterzeichnet sein sollte. Die Fälschung wurde sofort nachgewiesen und öffentlich vom Gerichtshof festgestellt. Trotzdem ist Herr Stieber heute noch im Amt und hoch in Gnaden und Ehren, während ich auf der Bank der Angeklagten sitze – ein Kontrast, eminent charakteristisch für unsere neueste Ära des Ruhmes und der nationalen Wiedergeburt. Und nun ein kurzes curriculum vitae. Einer Beamtenfamilie entstammend, war ich von meinen Angehörigen – den Vater hatte ich früh verloren – für die Beamtenlaufbahn bestimmt. Allein schon auf dem Gymnasium lernte ich die Schriften Saint Simons kennen, die mir eine neue Welt eröffneten. Zu einem „Brotstudium“

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/135&oldid=- (Version vom 13.3.2023)