Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7 | |
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in jener Mordnacht in ihrem Hause Unruhe geherrscht hat. Dieser Vorgang ist durch die Aussage des Maurers Kekermann, der in jener Nacht angetrunken nach Hause kam und infolgedessen ein großes Gepolter im Hause verursacht hat und andererseits durch den heftigen Sturm, der in jener Nacht getobt hat, zu erklären. Es ist außerdem der Nachweis geführt worden, daß Boß an jenem Abende bis etwa gegen 10 Uhr mit Warenauspacken beschäftigt war. Die Bekundung des Zeugen Sprada, daß am Abende des 21. Januar ein von Gappa herausgekommener Knabe aus dem Boßschen Hause mit polnisch-jüdischem Dialekt: „Onophri, Onophri!“ angerufen wurde, hat sich als erfunden erwiesen. Das Umfallen des Zaunes im Ziegenstalle bei Boß kann doch etwa keinen Anhalt für die Schuld der Boß ergeben. Ebensowenig ist aber Hermann Josephsohn der Täter gewesen. Wenn auch die Zeugin Reimann den Josephsohn nicht zu Hause getroffen hat, so steht doch fest, daß ihn gegen 10 Uhr abends verschiedene Personen auf dem Nachhausewege getroffen haben. Er hatte nicht nötig, sich sehen zu lassen, denn die Leute, denen er begegnete, hatten es sämtlich eilig, er hat sie aber angerufen. Einen Mensch, der soeben ein so fürchterliches Verbrechen begangen, drängt es nicht danach, mit ihm begegnenden Leuten zu sprechen. Er geht auch nicht ruhig nach Hause, legt sich ruhig zu Bett, ohne seinen Angehörigen irgend etwas zu sagen. Es ist auch nicht anzunehmen, daß Josephsohn in solch kurzer Zeit ein Verbrechen dieser Art ausgeführt hat. Fest steht, daß Josephsohn um 12 Uhr und um 1 Uhr nachts zu Hause gewesen ist; daß er angekleidet auf dem Bette gelegen, erklärte sich aus dem Umstande, daß er sich genierte, in Gegenwart der Reimann sich zu entkleiden. Daß Josephsohn nach 1 Uhr nachts den Mord vollführte, ist nicht denkbar, denn es ist nicht möglich, daß der ermordete Knabe sich bis nach 1 Uhr umhergetrieben hat. Fest steht außerdem, daß Josephsohn am 22. Januar um 7 Uhr morgens ebenfalls zu
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/120&oldid=- (Version vom 9.4.2023)