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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

Ja. – Vert.: Das mag glauben, wer will. Wenn Sie weiter an dem Kassiberverkehr Anstoß nahmen, so daß Sie die Kassiber der Gefängnisverwaltung zur Verfügung stellten, wer in aller Welt zwang Sie denn, diese Kassiber zu beantworten? – Zeuge: Ich hatte immer noch Zuneigung zu Grete und es wurde mir schwer, gegen sie auszusagen. Noch als ich hierher transportiert wurde, schwankte ich. – Es folgte die Vernehmung der Sachverständigen. – Sachverst. Oberarzt Dr. med. Nerlich (Hochweitzschen): Die Angeklagte hat während der Beobachtungszeit in der Landesirrenanstalt Waldheim nicht den geringsten Versuch gemacht, irgendeine Krankheitserscheinung auf geistigem oder körperlichem Gebiet vorzutäuschen. Es finden sich keinerlei Degenerationszeichen am Schädel, sie zeigt keinerlei Zeichen von Hysterie oder Neurasthenie und ist körperlich vollkommen gesund. Was ihre geistige Beschaffenheit anlangt, so war sie immer natürlich, bescheiden, höflich, geschickt, fleißig, immer bereit zur Hilfe. In Handarbeiten war sie außerordentlich geschickt und hatte ein treffendes Urteil über die Vorgänge in ihrer Umgebung. Ihre Gemütsstimmung war gleichmäßig ruhig. Wenn man von ihrem Vater sprach, traten ihr die Tränen in die Augen. Wenn die Frage aufgeworfen wird, ob sie die Tat in einem epileptischen Dämmerzustand begangen haben kann, so halte ich das für ausgeschlossen, da keinerlei Zeichen von Epilepsie bei ihr beobachtet worden sind. Sie hat großes musikalisches Verständnis und entwickelt am Klavier außergewöhnliche Fähigkeiten. Im schriftlichen Ausdruck ist sie außerordentlich gewandt. Ihre Schulverhältnisse waren ausgezeichnet, ihre Allgemeinbildung desgleichen. Nur in religiöser Beziehung ist sie oberflächlich. Sie war der Überzeugung, daß ihr Vater aus Kummer um sie gestorben sei. Was ihre Liebe zu Merker auf der einen und zu Preßler auf der andern Seite anlangt, so bin ich der Meinung, daß sie Merker wirklich geliebt hat. Wie dieser ihr das vergolten hat,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/322&oldid=- (Version vom 31.7.2018)