Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 6 (1912).djvu/286

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

Zuge nach Freiberg zu fahren. Die Menschen, die ihr auf der Straße begegneten, ahnten selbstverständlich nicht, daß die feingekleidete, hübsche, junge Dame eine grausame Mörderin war. Mit Blut besudelt‚ langte des Bürgermeisters Töchterlein in Freiberg an. Sie begab sich in eine Gesellschaft, wo viel gelacht, gegessen und getrunken, musiziert und getanzt wurde. Niemand merkte der liebreizenden Bürgermeisterstochter auch nur das geringste an. Gretchen war ungemein heiter und seelenvergnügt. Sie erzählte ihren Freundinnen: Ihr Bräutigam freue sich, daß er sie sehr bald werde als Gattin heimführen können, er habe bereits eine sehr hübsche Wohnung gemietet. „Ich bin alsdann Frau Oberingenieur“, rief sie freudig aus. – Kehren wir nun an die Stätte des Verbrechens zurück. Etwa eine Stunde nach der grausigen Tat trat der Bruder des so jäh Ermordeten‚ Gerichtsreferendar Karl Preßler, in das Mordzimmer. Entsetzt wich er zurück, als er seinen Bruder als Leiche auf der Chaiselongue liegen sah. Referendar Preßler war sofort der Überzeugung, sein Bruder habe Selbstmord begangen. Der Revolver lag neben der Leiche. Einen Schuß hatte er sich in den Mund gegeben. So handelt nur ein Selbstmörder. Auf dem Tisch lag ein Brief, der zweifellos von seinem Bruder geschrieben war. In diesem Briefe bat er den Bruder um Verzeihung, daß er ihm das Schreckliche angetan habe, er war aber genötigt, aus dem Leben zu scheiden. Er bitte ihn, seine Braut und alle Angehörigen zu trösten. Auch die polizeiärztliche Untersuchungskommission gewann nach eingehender Prüfung die Überzeugung, daß Preßler Hand an sich gelegt habe. Die Leiche wurde deshalb in das Krematorium für Selbstmörder geschafft und dort eingeäschert. Inzwischen fand man im Nachlaß des Entseelten ein Testament, in dem Grete Beier zur Universalerbin eingesetzt war. Diese Entdeckung, sowie das Verhalten der Grete machte den Referendar Preßler etwas stutzig. Er ließ den erwähnten Brief und das Testament

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/286&oldid=- (Version vom 31.7.2018)