Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 5 (1912).djvu/6

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5

neben dem Schaden nicht noch den Spott haben wollen. Ganz besonders scheuen sich die Betrogenen vielfach, vor Gericht als Zeugen zu erscheinen. Trotz aller Warnungen der Presse treibt der Heiratsschwindel, insbesondere in den Großstädten, und zwar in allen Gesellschaftskreisen noch immer die üppigsten Blüten. Noch immer sind zahllose Dienstmädchen, Schneiderinnen und andere Proletarierinnen töricht genug, Schwindlern, die ihnen die Ehe versprechen, ihre durch mühselige, harte Arbeit erworbenen Ersparnisse und oftmals auch noch ihre weibliche Ehre hinzugeben. Wieviel solch betrogene arme Wesen dem Selbstmord zugetrieben wurden, ist nicht annähernd festzustellen, gering dürfte aber diese Zahl kaum sein. Etwas größere Vorsicht Heiratsbewerbern gegenüber täte dringend not. Der noch immer flüchtige internationale Hochstapler „Graf de Passy“, dessen richtiger Name Max Schimangk ist, betrieb den Heiratsschwindel im Großen. Vermöge seiner imposanten Erscheinung und seines vornehmen Auftretens gelang es ihm, selbst in den feinsten Familien Berlins Eingang zu finden und die Herzen wohlhabender junger Damen im Sturm zu erobern. Und die Eltern hatten sämtlich für den zukünftigen gräflichen Schwiegersohn, der sich natürlich nur ganz vorübergehend in Geldverlegenheit befand, offene Kasse. – Im Frühjahr 1875 war ein englisches neuvermähltes Paar auf der Hochzeitsreise begriffen. Das Paar erregte in Bozen die Aufmerksamkeit des Hotelpersonals und der Hotelgäste. Er, namens Henry Tourville aus London, war ein fescher, bildschöner junger Mann von etwa 25 Jahren, sie etwa 25 Jahre älter. Wohl zeigte ihr Gesicht Spuren dereinstiger Schönheit, sie war aber derartig verblüht, daß man fast zu der Annahme geneigt war, es handle sich um Mutter und Sohn. Er war mittellos, sie hatte jedoch ein großes Vermögen und, wie sich später ergab, den jungen Ehemann testamentarisch zum Universalerben gemacht. Das Paar unternahm Ausflüge in die zum Himmel ragenden Tiroler

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)