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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5

Gläser nahm, sah ich die offene Ladenkasse mit vielen Geldstücken. Ich entnahm davon mehrere und warf sie ins Wasser. Im Kurpark zu Warmbrunn stahl ich einen Geldbeutel, lediglich um zu sehen, ob es gemerkt werden wird. Ich habe am folgenden Tage den Geldbeutel unversehrt zurückgebracht. Inzwischen war aber Anzeige bei der Polizei erstattet worden. Der Gutachter kam zu dem Schluß: Eichbaum, der auch erblich belastet ist, ist zweifellos eine geistig abnorme Persönlichkeit, deren Verkleidungstrieb zum Teil auf eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit zurückzuführen ist. Für Handlungen, die aus diesem Triebe hervorgehen, ist die Willensbestimmung nicht ausgeschlossen, aber doch in nicht unerheblichem Grade vermindert. Für die innerhalb des Verkleidungstriebes liegenden Strafhandlungen ist dagegen die freie Willensbestimmung nicht in erheblichem Maße beeinflußt. – Nervenarzt Dr. med. Magnus Hirschfeld (Berlin) bekundete darauf: Er habe den Angeklagten auf Veranlassung seiner Mutter längere Zeit beobachtet und behandelt. Der Angeklagte gehört zu den sogenannten Transvestiten, einer bestimmten Gruppe mannweiblicher Geschlechtsübergänge, deren hervorstechendstes Kennzeichen es ist, sich seelisch mehr oder weniger dem andern Geschlecht zugehörig zu empfinden. Diesem seelischen Zwittertum suchen die Betreffenden durch die Verkleidung Ausdruck zu geben. Es gehören demnach zu den Transvestiten Männer, die zeitweise als Frauen auftreten, und weibliche Personen, die als Männer leben. Solche Personen hat es zu allen Zeiten gegeben. Hinsichtlich ihres Körperbaues in der Richtung ihres Geschlechtstriebes sind die Transvestiten vielfach von normaler Beschaffenheit. Wie die drei übrigen Hauptgruppen der sexuellen Zwischenstufen: die Hermaphroditen, die Androgynen und Homosexuellen, so entwickeln sich auch die Transvestiten stets auf ererbter Grundlage. Sie scheinen ein Mittel zu sein, deren sich die Natur bedient, der Entartung vorzubeugen.

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/268&oldid=- (Version vom 1.8.2018)