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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5

Neigung schien der Angeklagte zu Fräulein Wege nicht zu haben. – Angekl.: Es ist richtig, daß meine verstorbene Frau sich vor der Verheiratung das Selbstverfügungsrecht über ihr Vermögen in Gegenwart von Zeugen vorbehalten hat. Ich habe gerade den Vorschlag gemacht, daß sie ihr Vermögen selbst verwalten solle. – Der Onkel der verstorbenen Frau Dr. Braunstein, Gutsbesitzer Christian Brömme aus Asendorf bei Halle, ein Mann von 62 Jahren mit weißem Haar, machte seine Aussage mit tränenerstickter Stimme. Er hatte dem Dr. Braunstein von vornherein mißtraut, weil er dessen Vorstrafen kannte, er habe auch, als er von der bevorstehenden Hochzeit hörte, seine Nichte gewarnt, sie war aber von ihrem Vorhaben absolut nicht abzubringen. Sie war eben in den Angeklagten verliebt. Er (Zeuge) war erst einigermaßen beruhigt, als er hörte, daß sich die Verstorbene die Verfügung über ihr Vermögen ausdrücklich vorbehalten hatte. Fräulein Wege war stets sehr sparsam. – Vors.: Glauben Sie, daß Ihre Nichte sich ihr Geld hätte nach München überweisen lassen? – Zeuge: Das ist der reine Schwindel. Meine Nichte sagte mir eines Abends, sie habe sich nach dem Vorleben des Dr. Braunstein erkundigt und erfahren, daß er noch nicht bestraft sei. Als ich die Nichte nochmals warnte und bei meiner Behauptung, daß er vorbestraft sei, stehen blieb, sagte sie: Nun, dann machen wir eben keine Hochzeit, dann machen wir die Sache im stillen ab. – Es wurde die 42jährige Privatiere Martha Kratz aus München vernommen. Die Zeugin hatte verweinte, abgehärmte Züge. Sie schien völlig gebrochen. – Der Vorsitzende gestattete der Zeugin wegen ihres leidenden Zustandes während ihrer Vernehmung auf einem Stuhl Platz zu nehmen. – Vors.: Sie scheinen sehr nervös und krank zu sein, ich werde deshalb Ihre Vernehmung so kurz wie möglich machen. Die Zeugin bekundete dann mit kaum vernehmbarer Stimme, daß sie den Angeklagten im September 1903, also zu einer Zeit, als er bereits mit

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/20&oldid=- (Version vom 31.7.2018)