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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5

alt war, konnte er vor ein Schwurgericht nicht gestellt werden. Er erzählte auf Befragen des Vorsitzenden: Ein Mann habe ihn an jenem Abend verleitet, seinem Meister zwei Metzen Getreide zu stehlen und ihm zu verkaufen. Nachdem der Mann sich entfernt hatte, habe er Furcht gehabt, der Meister könnte den Diebstahl merken und ihn bestrafen lassen. Deshalb habe er die Mühle in Brand gesetzt, sich alsdann einen Knebel in den Mund gesteckt und selbst gefesselt. Er habe, ehe er Müller wurde, ein halbes Jahr Posamentier gelernt, er verstehe es daher, sich selbst zu fesseln. Um nun dem Feuertode zu entgehen, habe er sich an die Tür der Mühle geschleift, diese mit dem Fuß geöffnet und sich hinabfallen lassen. Als am anderen Morgen der Bürgermeister ihn vernahm, habe er die diesem gemachte Erzählung erfunden, und als der Bürgermeister ihn fragte, ob er einen der Männer erkannt habe, da sei ihm gerade Schrader, von dem er wußte, daß er oftmals eine rotweißkarierte Barchentjacke getragen habe, eingefallen. – Als Schrader als Zeuge den Gerichtssaal betrat, begann Günther laut zu weinen. Er fiel auf die Knie und rief: „Guter Herr Schrader, Sie haben durch meine Schuld sieben Jahre unschuldig im Zuchthause gesessen, ich bitte tausendmal um Verzeihung.“ Schrader, ein kleiner, ganz gebückt gehender Mann, mit durchfurchtem, gramerfülltem Gesicht, weinte ebenfalls bitterlich. Günther wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, Schrader bald darauf im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen. – Ich habe der Verhandlung gegen Günther zur Zeit als Berichterstatter beigewohnt und nahm hierbei Veranlassung, mit Schrader zu sprechen. Dieser sagte zu mir: „Sie können sich keinen Begriff machen, wie einem Menschen zumute ist, der unschuldig auf 15 Jahre ins Zuchthaus gesperrt wird, ohne die geringste Aussicht zu haben, daß seine Unschuld jemals an den Tag kommen wird.“ Wenige Monate darauf ist Schrader gestorben. Seine Frau war, während er im Zuchthause saß, aus Gram gestorben.

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/182&oldid=- (Version vom 31.7.2018)