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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

von Fällen ihm untergebene Zöglinge mit zwei Reitpeitschen, einer Klopfpeitsche und einem Stock geschlagen hat, und daß mehrere dieser Zöglinge nach den Züchtigungen in Ketten gelegt worden sind. Breithaupt hat diese Bestrafungen in einzelnen Fällen selber besorgt, in einer größeren Anzahl von Fällen hat er die Mitangeklagten dazu durch die ihnen gegebenen Befehle veranlaßt. Breithaupt macht geltend, daß er sich der Widerrechtlichkeit nicht bewußt gewesen sei und in Ausübung seines Züchtigungsrechtes so gehandelt habe, wie er in Rücksicht auf die gegebenen Verhältnisse habe handeln müssen. Die übrigen Angeklagten sagen, daß sie die Rechtsgültigkeit der Anordnungen nicht bezweifelt, aber doch gegen die Ausführung zuweilen Bedenken gehabt haben. Sie haben indes geglaubt, sich den Anordnungen ihres Meisters fügen zu sollen. In allen Fällen ist das eine sicher: Breithaupt hat nur gezüchtigt, wenn Fälle gegeben waren, die nach seiner Meinung eine Züchtigung rechtfertigten. Als Anstaltsvorsteher hatte er auch das Züchtigungsrecht; denn wer erziehen soll, muß das Züchtigungsrecht haben. Den Fürsorgezöglingen gegenüber hatte es die städtische Verwaltung, und mit ihrem Wissen und Willen ging es auf Breithaupt über. Dabei sollte die Lichtenberger Disziplinordnung auch in Mieltschin sinngemäß Anwendung finden. Breithaupt sagt, er habe diese Disziplinordnung nicht gekannt, und es sei nicht seine Schuld gewesen, daß sie ihm nicht bekannt wurde. Jedenfalls war er über sie nicht informiert, darum muß von diesem Punkt abgesehen werden. Sein Verhalten im Gebrauch des Züchtigungsrechtes ist dann nur von dem allgemeinen Gesichtspunkt aus zu beurteilen, ob er dasjenige Maß innegehalten hat, von dem man sagen kann, daß es noch eine Ausübung des Züchtigungsrechtes ist. Da hat nun das Reichsgericht wiederholt gesagt, daß das Züchtigungsrecht begrenzt wird durch die Schranken, die ihm das Sittengesetz setzt. Die allgemeine gesunde Sittenanschauung

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/298&oldid=- (Version vom 22.12.2023)