Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4 | |
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daß er die entsetzlichen Missetaten in entsprechender Weise zu sühnen wissen und zum mindesten dem Pastor Breithaupt mildernde Umstände versagen wird. – Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Illch schilderte die Entwickelung der Persönlichkeit Breithaupts, sein „Interesse für die großen Aufgaben der Zeit“ und suchte den Nachweis zu führen, daß Breithaupt wohl glauben durfte: er sei den Aufgaben in der Mieltschiner Fürsorgeerziehungsanstalt gewachsen. Daß die Lösung mißlang, lag an all den äußeren Umständen, die ihn hindernd entgegentraten. Die Strafmittel, zu denen er griff, waren nicht zulässig, er hielt sie aber für zulässig. Ihre Wirkung war im übrigen nicht so schlimm, wie es scheinen könnte. Auch haben die Jungen dem Pastor die Züchtigungen gar nicht so sehr nachgetragen. Jedenfalls war Breithaupt vom besten Willen beseelt. Es könne keine Rede davon sein, daß er aus Lust geprügelt habe. Er habe jedenfalls nur ein Züchtigungsrecht ausüben wollen. Die Frage, ob die Behandlung lebensgefährlich war, sei nur von Dr. Bernstein, dem prinzipiellen Gegner der Prügelstrafe, bejaht worden; der Gerichtsarzt, Medizinalrat Dr. Hoffmann, habe die Frage verneint. Der Verteidiger schloß: Breithaupt hat sich nicht strafbar gemacht, weil er sich niemals bewußt war, etwas anderes zu tun, als wozu er berechtigt, ja sogar verpflichtet war. – Vert. Justizrat Leonhard Friedmann: Es sei unverkennbar, daß in weiten Kreisen des Publikums sich gegen Breithaupt eine große Entrüstung kundgegeben habe; diese sei auch aus den Ausführungen des Vertreters des Nebenklägers zum Ausdruck gekommen. Entrüstung sei ja leicht, aber hier handle es sich lediglich um Rechtsfragen, und in dieser Beziehung sei von der Staatsanwaltschaft die Beweisaufnahme so gewürdigt worden, wie es dem Standpunkt der Verteidigung entspricht. In ausführlichen juristischen Darlegungen erörterte darauf der Verteidiger den Begriff des Züchtigungsrechtes, das eine Negation der Widerrechtlichkeit der Körperverletzung sei, und den Begriff der
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/292&oldid=- (Version vom 22.12.2023)