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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

Darstellung Rupperts ist durch den Maurerpolier Wittig bestätigt worden. Auch die in Berlin festgestellten Mißhandlungen sprechen für die volle Glaubwürdigkeit Rupperts. Noch heute leidet der Knabe unter den Folgen. Gerade mit Bezug hierauf ist es unbegreiflich, daß der Staatsanwalt mildernde Umstände beantragen kann, weil dauernder Schaden nicht vorhanden sei. Wenn nicht die Presse und nachher die Behörden eingegriffen hätten, dann wäre vielleicht nicht einer der Zöglinge gesund den Händen des Pastors entronnen. Es kann zweifelhaft sein, ob dem Anstaltsleiter Breithaupt, den nicht die Stadt Berlin, sondern die Gesellschaft „Fürsorgestift Mieltschin“ angenommen hatte, überhaupt das Züchtigungsrecht zustand. Stand es ihm aber zu, so hat er es in schwerster Weise überschritten. Der Herr Staatsanwalt sagte: Seine Beweggründe sind nicht schlecht gewesen. Ich behaupte, daß Breithaupt aus Lust am Prügeln geprügelt hat. Während der neuntägigen Dauer der Verhandlung hatte er kein Wort des Bedauerns über seine zum Himmel schreienden Roheiten. Sein ganzes Verhalten ist geradezu ein Hohn auf die Fürsorgeerziehung. Nur die äußere Disziplin suchte er aufrecht zu erhalten, und zwar mittelst der Folter. Allerdings ist auch der Berliner Waisenverwaltung der Vorwurf zu machen, daß sie es zuließ, einen solchen Mann auf einen solchen Posten zu stellen. Die Schuld trifft aber auch die Leiter jener Gesellschaft, die keinerlei Aufsicht übte. Es handelte sich eben nur um Proletarierkinder, weshalb sollen die nicht bestialisch behandelt werden? Allein alles dies entlastet den Pastor Breithaupt nicht im mindesten. Das Bewußtsein der ihm eingeräumten Selbständigkeit hätte sein Verantwortlichkeitsgefühl steigern müssen. Ich wiederhole: es ist mir rätselhaft, daß der Herr Staatsanwalt angesichts derartiger unerhörter Freveltaten noch mildernde Umstände beantragen konnte. Der Umstand, daß Breithaupt ein Geistlicher ist, macht ihn um so strafwürdiger. Ich habe das Vertrauen zu dem hohen Gerichtshof,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/291&oldid=- (Version vom 19.12.2023)