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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

züchtigen, dann hätte es das kameradschaftliche Gefühl in der Anstalt gefördert. Daß bei all dem, was in Mieltschin vorgekommen ist, kein Menschenleben zu beklagen ist, dafür möge Breithaupt seinem Schöpfer danken. 39 zur Anklage stehende Fälle von Körperverletzung, die gegen 18 Zöglinge begangen worden sind und sich auf nur drei Monate verteilen, bedeuten eine außerordentlich hohe Zahl gegenüber der Belegungsziffer von im Höchstfall 70 Zöglingen. Geprügelt hat man aber noch viel öfter; wie oft, das ist nicht zu ermitteln, weil Straflisten nicht geführt wurden. Es ist anzunehmen, daß im Durchschnitt täglich mindestens eine Züchtigung vorgenommen wurde, während z. B. in der Anstalt Lichtenberg, die doch Jungen derselben Art hatte, trotz sehr viel höherer Belegungsziffer nur ganz vereinzelt geprügelt worden ist. Ein völliges Verbot des Prügelns ist nicht zu empfehlen. Körperliche Züchtigung ist ein durchaus brauchbares und manchmal durchaus erforderliches Erziehungsmittel. Aber wie Kuchen und Zuckerbrot kein tägliches Nahrungsmittel sein können, so dürfen Stock und Peitsche nicht vorwiegendes Erziehungsmittel sein, sonst müssen die Jungen völlig verkommen. Widerwärtig und ekelhaft sind die Fälle von Einsperrungen im Keller und von Fesselungen. Es ist aber zweifelhaft, ob Breithaupt hierfür immer verantwortlich war. Es erscheint fraglich, ob er sich das als Quälerei ausgedacht hatte. Bezüglich der Schläge auf die Fußsohlen ist nicht erwiesen, daß er sie als Strafe anordnete. Nur, wenn die Jungen strampelten, ließ er die Schläge auf die Fußsohlen zu. Bezüglich der Glaubwürdigkeit gebe ich im allgemeinen den Angaben der Angeklagten den Vorzug. Die Zöglinge sind vielfach selber mißhandelt worden, mancher denkt mit Bitterkeit an Mieltschin zurück, auch sind unter ihnen sittlich Anfechtbare oder geistig Minderwertige. Andererseits ist zu glauben, daß der Zögling Eggert tatsächlich im Auftrage Breithaupts die am schwersten mißhandelten Jungen dahin beeinflußt hat, daß sie vor der Untersuchungskommission

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/288&oldid=- (Version vom 19.12.2023)