Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4 | |
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zugeführt worden war, war entsetzt über seinen Zustand. Er schilderte den Befund ähnlich und hob hervor, daß er sofort am nächsten Tage der Waisendeputation Mitteilung machte. Medizinalrat Dr. Hoffmann hielt in den Fällen Ruppert und Mauthe die Schläge wegen ihrer großen Zahl für geeignet, das Leben zu gefährden. Besonders unter Peitschenhieben platze leicht die Haut, das habe er in Zuchthäusern gesehen. – Es folgte noch ein Gutachten des Barons von Lepel, der als Sachverständiger für Pädagogik zugezogen worden war, weil er im Fürsorgewesen der Bodelschwinghschen Anstalt Bethel tätig war. Er bekundete, daß es dort nicht erlaubt sei, über 10 Hiebe zu geben, und auch das tue man nur im äußersten Notfall. Dem Pastor Breithaupt habe jede Qualifikation für seinen Posten gefehlt, da er die Fürsorgeerziehung nie kennen gelernt habe. Aus einer gewissen Forsche heraus habe er sich dazu befähigt geglaubt, aber es gehöre dazu nicht nur Entschiedenheit, sondern auch Besonnenheit. Engels habe in Bethel sich als im allgemeinen tüchtig, aber wankelmütig gezeigt, darum habe man ihn nicht behalten, sondern nach Hoffnungsthal gehen lassen. Auch die übrigen Aufseher in Mieltschin seien ganz ungeeignet gewesen. Rechtsanwalt Dr. Rosenfeld stellte durch Befragung des Sachverständigen noch fest, daß letzterer nur in einem oder zwei Fällen eine körperliche Züchtigung für zulässig gehalten hätte, daß er dieses Drauflosschlagen mit der Peitsche überhaupt verwerfe und es für besonders unrecht halte, die Jungen selber zählen zu lassen. – Rechtsanwalt Dr. Rosenfeld: Und wie denken Sie darüber, daß, wenn sie sich verzählt hatten, von vorn angefangen wurde? – Sachverständiger von Lepel (den Kopf schüttelnd): Dafür habe ich keine Worte! – Am vorletzten Verhandlungstage nahm das Wort Staatsanwalt Dr. Reiner: Um das Verhalten der Angeklagten richtig beurteilen zu können, muß man nach Mieltschin selber blicken. In der erst entstehenden Anstalt war alles noch unfertig,
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/285&oldid=- (Version vom 19.12.2023)