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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

früher an Kniegelenktuberkulose gelitten und daher ein verkürztes Bein habe. – Als erster Zeuge unter den geladenen Fürsorgezöglingen hinkte Auders in den Saal. Der jetzt 19jährige junge Mann, den der Vorsitzende nochmals eindringlich zur Wahrheit ermahnte, bekundete: Er sei sogleich in der ersten Nacht mit Zögling Graske aus Mieltschin entflohen, weil Graske ihm gesagt habe: „Hier gibt’s Keile!“ Schon in Gnesen habe er sich freiwillig auf der Polizei gestellt. Nach seiner Wiedereinlieferung in Mieltschin habe Breithaupt ihm durch Engels 50 Hiebe geben lassen. Wrobel habe ihm das Hemd höher ziehen müssen, Breithaupt habe die Uhr gehalten, Engels habe geschlagen und sich alle Mühe gegeben, tüchtig zu schlagen, er selber habe die Schläge zählen müssen. Es habe sehr weh getan, sodaß es schien, einzelne Stellen seien wund geschlagen worden. Etwa 3 Wochen später sei er von einem polnischen Arbeiter gefragt worden, ob er „Keile gekriegt“ habe. Da habe er erklärt, wenn erst andere Jungen kämen, die sich nicht schlagen ließen, werde es hier anders werden. Von „kessen Jungen“, von „Herren spielen“ und „den Meistern die Jacke voll hauen“, habe er nicht gesprochen. Bald darauf habe Breithaupt, der wohl gelauscht haben müsse, ihn am Kragen gepackt und ihn mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Er habe ihn zum Herrenhaus geführt, vor dessen Tür Schwester Olga mit Gutsinspektor Bartz stand, und im Hause ihm erst einen Hieb über den Kopf und dann mit der Peitsche oder dem Stock 50 und mehr Schläge übers Gesäß gegeben. Als er (Auders) im August über die erduldeten Mißhandlungen vernommen wurde, sagte er dem Pastor Matthies nichts von dieser zweiten Abstrafung, weil bei der Vernehmung Breithaupt zugegen gewesen sei. Erst später machte er in Lichtenberg genaue Angaben darüber. Nach der Bestrafung sei er um die Frühstückszeit in den Kartoffelkeller gesperrt worden, in dem er ohne Nahrung bis zum Abend habe bleiben müssen. Abends sei er nach der Station gebracht

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/250&oldid=- (Version vom 17.12.2023)