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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

den Herrn Landgerichtsrat nicht. Er dachte nicht daran, daß er durch solches Verhalten das richterliche Standesgefühl verletzt. Es kam ihm lediglich darauf an, Geld zu erhalten, die Mittel waren ihm vollständig gleichgültig. Er unternahm außerdem kostspielige Badereisen nach Ostende usw. Daß er, wie er vortrug, von einem Idealismus beseelt war, möchte ich bezweifeln. Ich erinnere daran, daß der Angeklagte es nicht verschmähte, ganz arme Leute um ihre Ersparnisse zu bringen. Er hat alle Straftaten begangen unter Ausnützung seiner richterlichen Stellung. Die Betrügereien sind ihm eben alle gelungen, weil die Leute es sich zur Ehre anrechneten, mit dem Herrn Landgerichtsrat Geschäfte zu machen. Ich erinnere daran, daß ein Anfänger wie Wilhelm Lewy in Breslau seine Bedenken fallen ließ, weil er den Gedanken nicht fassen konnte, daß ein preußischer Landgerichtsrat ein Betrüger sein könne, obwohl er sich des Gefühls nicht erwehren vermochte, zwei Bauernfängern zum Opfer gefallen zu sein. Schuld des Angeklagten ist, daß man sich im Publikum zuflüsterte, am Landgericht zu Beuthen ist ein Landgerichtsrat, der für Geld zugänglich ist. Wenn auch dem Angeklagten nicht direkt nachgewiesen werden konnte, daß er das Recht gebeugt habe, so steht doch fest, daß er, um Geld zu erhalten, seine Amtspflichten in schwerster Weise verletzt hat. Wenn ein hochstehender Richter sich soweit vergißt, so verdient er keine Milde. Ich beantrage daher für jedes Amtsvergehen je 1 Jahr Zuchthaus, für die 11 Unterschlagungsfälle je drei Monate Gefängnis, für die 12 Betrugsfälle je 6 Monate Gefängnis, für die Arrestbrüche je 1–10 Tage Gefängnis. Ich beantrage eine Gesamtstrafe von vier Jahren Zuchthaus. (Große Bewegung im Zuhörerraum.) Da der Angeklagte eine ehrlose Gesinnung an den Tag gelegt hat, beantrage ich, dem Angeklagten die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 5 Jahren abzuerkennen. Der Angeklagte befindet sich seit 9 Monaten in Untersuchungshaft,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/119&oldid=- (Version vom 13.12.2023)