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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

wurde sofort eine umfassende Haussuchung vorgenommen, die aber nicht das geringste Ergebnis hatte. Nach einigen Tagen wurde, da auch nicht die leiseste Spur für die Täterschaft des Zahnarztes festgestellt werden konnte, letzterer wieder in Freiheit gesetzt. – Aber auch eine Anzahl Privatdetektivs und sonstige existenzlose Leute, sogenannte Journalisten, schlugen in Konitz schleunigst ihren Wohnsitz auf, um den Mörder zu entdecken und sich die hohe Belohnung zu verdienen. Um sich den Lebensunterhalt zu verschaffen, korrespondierten diese Leute über die Verhältnisse des Städtchens, das damals geradezu in den Mittelpunkt der Welt gerückt war, für alle möglichen Zeitungen. Die einzige, in Konitz erscheinende Zeitung, das antisemitische „Konitzer Tageblatt“ trug auch nicht wenig zur Verhetzung der Bevölkerung bei. Die Verhetzung nahm einen derartigen Grad an, daß die christlichen Schüler selbst auf dem Gymnasium den Verkehr mit ihren jüdischen Mitschülern mieden und sich offen weigerten, mit ihnen auf derselben Bank zu sitzen. Einige Gymnasiallehrer, die dieser Verhetzung Vorschub geleistet hatten, mußten, da der öffentliche Frieden aufs ärgste gefährdet war, an ein anderes Gymnasium versetzt werden. Die Juden in Konitz und weitester Umgebung wurden vollständig gesellschaftlich geächtet und geschäftlich boykottiert. Alle Juden, die es möglich machen konnten, veräußerten ihr Besitztum und kehrten Konitz den Rücken. Das Geschäft sank unter Null. Geschäftsreisende ließen sich in Konitz und den Nachbarstädten nicht mehr sehen. Da die Straßenkrawalle sich wiederholten und einen immer heftigeren Charakter annahmen, so traf

auf persönlichen Befehl des Kaisers

eine Kompagnie Soldaten aus Graudenz in Konitz ein. Das Militär wurde in allen Städten, das es zu passieren hatte, mit dem Rufe: „Judenschutztruppe“ empfangen. In Konitz vermochte das Militär erst, als es mit gefälltem Bajonett vorging, die Ruhe wieder herzustellen. Selbst einem

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/88&oldid=- (Version vom 29.1.2023)