Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3 | |
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Die im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts stattgefundene Judenverfolgung hatte in den verschiedensten Städten Pommerns zu argen Ausschreitungen gegen das Leben und das Eigentum der Juden geführt. Die Wohnungen und Läden der Juden wurden teilweise vom Mob arg beschädigt und geplündert, die Juden auf den Straßen schwer mißhandelt. Im Januar 1881 brannte an einem Freitag Vormittag in Neustettin die Synagoge ab. Da wenige Tage vorher der Berliner antisemitische Agitator Dr. Ernst Henrici in Neustettin eine Hetzrede gegen die Juden gehalten hatte, wurde von jüdischer Seite der Vermutung Ausdruck gegeben: die Antisemiten haben aus Haß gegen die Juden den Tempel in Brand gesteckt. Die Antisemiten behaupteten dagegen: die Juden haben ihr Gotteshaus selbst in Brand gesteckt, um einmal die Schuld den Christen in die Schuhe zu schieben und andererseits, um durch Erhalt der Versicherungssumme in die Lage zu kommen, ein neues, schöneres Gotteshaus bauen zu lassen. Es wurden in der Tat fünf Juden wegen vorsätzlicher Brandstiftung bzw. Beihilfe, zum Teil auch, weil sie von dem Verbrechen, von dem sie zu einer Zeit, in welcher die Verhütung noch möglich war, glaubhafte Kenntnis erhalten hatten, die Anzeige unterlassen haben, angeklagt. Das Kösliner Schwurgericht verurteilte im Oktober 1883 vier Angeklagte zu hohen Strafen. Infolge eines formalen Verstoßes gegen die Strafprozeßordnung hob auf Antrag des Verteidigers Justizrats Dr. Sello (Berlin) das Reichsgericht
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/83&oldid=- (Version vom 29.1.2023)