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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

könne, fuhr der Verteidiger alsdann fort, Prilukow auch nicht damit belasten, daß er bei der Vollführung des Verbrechens anwesend war, denn das war nur die Folge davon, daß die Tarnowska Naumow sich zu Willen gemacht hatte. Prilukow sei ein Verrückter, der immer tausend Dinge androhe und nichts ausführe; er sei dem Willen der Tarnowska untertan und wisse bis zuletzt gar nicht genau, wie weit diese gehen wolle. – Rechtsanwalt Dr. Luzzatti erinnerte schließlich daran, daß der kleine Sohn Prilukows seinem Vater geschrieben habe: er bete täglich für ihn und sei überzeugt, daß die Geschworenen Milde üben werden, die die höchste Gerechtigkeit sei. – Der Angeklagte, Rechtsanwalt Dr. Prilukow, weinte bei diesen Ausführungen fürchterlich. Ein Zug tiefster Bewegung ging durch den Saal. – Advokat Florian suchte nachzuweisen, daß Prilukow weder die Tarnowska noch Naumow zum Verbrechen veranlaßt habe. Das aufreizende Telegramm, das Prilukow mit der Unterschrift Komarowskis an Naumow sandte, habe diesen nach seiner eigenen Erklärung nicht zum Verbrechen veranlaßt. Die Hilfe, die Prilukow der Tarnowska zuteil werden ließ, indem er mit ein paar Detektivs Naumow überwachte, sei eine antipathische, aber keine strafbare Handlung. Die Tarnowska habe das Verbrechen ersonnen; das werde durch ihre Persönlichkeit und ihre Motive bewiesen. Der Verteidiger schloß: Es ist juristisch unmöglich, zu behaupten, daß Prilukow als Beauftragter der Tarnowska das Verbrechen der Anstiftung zum Morde begangen habe. Die Tarnowska, die diesen Auftrag erteilt, bleibt immer selbst die Person, welche die Anstiftung verübt hat. Es ist auch völlig falsch, daß Prilukow durch das gefälschte Telegramm Naumow dazu bestimmt habe, den Grafen Komarowski zu erschießen. Alle Schuld fällt vielmehr auf die Tarnowska zurück. Prilukow hat sich nicht einmal dadurch strafrechtlich verantwortlich gemacht, daß er keine Anzeige erstattete, nachdem er von dem beabsichtigten Verbrechen Kenntnis erhalten.

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/78&oldid=- (Version vom 5.1.2023)