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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

Schleier mehr über das Gesicht zu ziehen. Vors.: Warum sind Sie nicht sofort abgereist, als Sie die Nachricht von der Verwundung des Grafen Komarowski erhielten? Tarnowska: Der Zug war schon abgegangen, auch war mein Paß nicht in Ordnung. Ich mußte daher warten. Vors.: Es wird behauptet, Sie hätten auf Instruktionen von Prilukow gewartet. Tarnowska: Das ist nicht richtig. Ich erhielt dann von Prilukow die Mitteilung, daß er nach Wien gehe. – Das Verhör der Angeklagten erstreckte sich noch weiter auf die Einzelheiten ihres Verhaltens nach der Mordtat, und es fiel auf, daß die Tarnowska ohne die geringste Gemütsbewegung von dem Tode Komarowski und ihrem Verhältnis zu ihm sprach. Man hatte den Eindruck, einer Persönlichkeit von eisiger Ruhe und Empfindungslosigkeit gegenüberzustehen. Ihre elegante Figur beugte sich zuweilen ein wenig über die Barre des Anklageraumes, auf die sie sich gestützt hatte. Ihr Blick flog in schwierigen Momenten des Verhörs blitzartig zu den Verteidigern hinüber. Im weiteren Verlauf fragte der Vorsitzende die Angeklagte über die Art, wie das Testament des Grafen Komarowski und die Lebensversicherung zu ihren Gunsten zustande gekommen sei. Die Angeklagte erklärte: In Venedig sei davon kaum gesprochen worden. Darauf wurde ein Brief des Grafen Komarowski verlesen, den dieser in Berlin im Savoy-Hotel geschrieben hatte und in dem er der Tarnowska versprach, daß er ein Testament zu ihren Gunsten errichten werde. Tarnowska: Das heißt aber nicht, daß das Testament in Berlin gemacht worden wäre. Ich lehnte dort vielmehr den Heiratsantrag Komarowskis ab und erst in Wien nahm ich ihn schließlich an. Es ist dann auch erst in Wien von der Lebensversicherung gesprochen worden. Vors.: Über welche finanziellen Hilfsquellen verfügten Sie selbst? Tarnowska: Ich hatte von meinem Vater eine Jahresrente von zweitausend Rubeln und bekam außerdem von ihm, soviel ich brauchte. Als ich Rußland verließ, hatte ich 70 000

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/42&oldid=- (Version vom 28.12.2022)